Hexer-Edition 13: Ein Gigant erwacht
und aber zu grübeln; das änderte nichts mehr am Tod der Indianer. Ich musste an die Zukunft denken. An eine Möglichkeit, diesem ganzen Wahnsinn unbeschadet zu entkommen.
Meine Gedanken glitten ab zu Shadow. Was war mit ihr geschehen? Wer – oder was – hatte sie von meiner Seite gerissen? Und vor allem: Lebte sie noch?
Shadow hatte geahnt, wer sich hinter den Träumen verbarg, wer im Verborgenen die Fäden zog und uns wie Marionetten in den Tod führte. Aber konnte es ein anderer sein als Necron? Wer sonst hätte Interesse an unserem Tod gehabt? Die GROSSEN ALTEN natürlich. Doch deren Methoden, mich umzubringen, wären nicht so subtil gewesen. Sie hätten mich einfach zermalmt wie eine lästige Fliege. Nein, die Geschehnisse mussten mit dem Herrn der Drachenburg in Zusammenhang stehen …
Während meiner Überlegungen war ich zum Wasserloch zurückgekehrt und als ich nun neben dem kleinen Lagerfeuer stehen blieb, war mir, als erwachte ich wie aus einer Trance. Ich schüttelte den Kopf, um die Benommenheit abzustreifen, blickte in die Runde und ließ mich schließlich neben Sitting Bull niedersinken.
Der alte Häuptling sah mich an, aber er sagte kein Wort. Ich konnte nicht einmal eine Frage in seinen Augen lesen. Fast schien es mir, als wüsste er genau, was mich beschäftigte. Aber ich wollte ihn nicht darauf ansprechen; nicht vor den anderen. So wandte ich den Blick ab und starrte ins Feuer.
Jemand hatte eine zerbeulte Blechkanne zwischen die brennenden Scheite geschoben und ein Duft nach aromatischem Kaffee stieg davon auf und kitzelte wohltuend in meiner Nase. Annie Oakley beugte sich vor, umwickelte die rechte Hand mit einem Tuch und hob die Kanne aus der Glut.
»Möchte jemand …«, fragte sie und blickte in die Runde. »Becher haben wir genug.«
Und während Bill und Lancelot zustimmend nickten, beugte ich mich zu Sitting Bull hinüber und flüsterte: »Ich muss mit Ihnen sprechen, Häuptling.«
Er blieb stumm und fast glaubte ich schon, er wolle mich einfach ignorieren, als er plötzlich doch aufstand und kaum merklich nickte. Ich erhob mich ebenfalls. »Wir gehen noch ein paar Schritte«, sagte ich an die anderen gewandt. »Halten Sie mir einen Schluck Kaffee heiß, Annie.«
Die Luft war merklich abgekühlt; nun, da wir die Geborgenheit und Wärme des Lagerfeuers verlassen hatten, wurde es mir erst richtig bewusst. Vor wenigen Stunden noch hatten wir unter der grausamen Hitze gestöhnt und nun ließ mich jeder Windhauch frösteln. Auch wenn ich noch nie zuvor eine Nacht im Wüstengebiet verbracht hatte, wusste ich doch, dass die Temperaturen in diesen Regionen bis unter den Gefrierpunkt abfallen konnten. Keine angenehmen Aussichten. Ich beschloss, das Gespräch nicht allzu lange auszudehnen.
Auf der Höhe einer Düne blieben wir stehen. Sitting Bull blickte starr in die Ferne und schwieg sich weiterhin aus.
»Wir wissen beide, dass Sie der Magie mächtig sind, Häuptling; mehr, als Sie zugeben wollen«, sagte ich schließlich. In der absoluten Stille um uns herum klang meine Stimme überlaut und sofort senkte ich sie instinktiv zu einem Flüstern herab. »Und Sie wissen mehr über diese Überfälle. Sie hegen einen Verdacht, wer hinter diesen Morden stecken könnte, habe ich Recht?«
Sitting Bull regte keine Miene. Ich gab ihm eine volle Minute, bevor ich fortfuhr: »Als Shadow … verschwand, haben Sie für mich Partei ergriffen, ohne Fragen zu stellen. Ich hatte den Eindruck, als wüssten Sie etwas.«
»Ich fühlte einen bösen Zauber«, erwiderte er nach Sekunden des Schweigens. »Ein mächtiger Zauber, viel stärker, als ich befürchtet habe. Ich werde sterben.«
Im ersten Augenblick begriff ich gar nicht, was er da gesagt hatte. Ich fuhr herum und starrte ihn fassungslos an. »Dann wissen Sie, wer sich hinter all dem verbirgt? Ich bitte Sie, Häuptling, vertrauen Sie sich mir an. Wir müssen uns verbünden, wenn wir …«
Ich konnte mir die Worte sparen. Es hatte keinen Sinn; das erkannte ich im gleichen Moment, als ich in seine Augen blickte. Er wollte sich nicht helfen lassen, aus welchen Gründen auch immer. Sein Blick war hart und verschlossen. Fast war ich versucht, ihm das Geheimnis mit Hilfe meiner Macht zu entreißen, einfach in seinen Geist einzudringen und mir die Informationen zu holen, die ich brauchte.
Aber eben nur fast. Ich hätte sein Vertrauen eingebüßt, im gleichen Moment, in dem ich meine magischen Kräfte einsetzte.
Und ich hätte meine Selbstachtung
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