Hexer-Edition 20: Hochzeit mit dem Tod
den Revolver auf. »Lass uns weitergehen.«
Ich nickte, verwendete aber noch eine weitere Minute darauf Haller mit Hilfe seines eigenen Gürtels zu fesseln, ehe ich aufstand und Howard und dem Holländer folgte. Die beiden hatten den Turm betreten, die innere Tür jedoch noch nicht angerührt. Und als ich neben ihnen ankam, wusste ich auch, warum.
Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Schiff. Es war zu still und es war …
Ich konnte das Gefühl nicht in Worte fassen, aber es war da. Die NAUTILUS stank geradezu nach Gefahr. Und zumindest Howard schien es ebenso zu merken wie ich, denn er warf mir einen raschen Blick zu und fasste seinen Revolver fester, ehe er das dreispeichige Metallrad der Schleuse mit der freien Hand zu drehen begann.
Vorsichtig öffneten wir die Schleuse ganz und traten ein. Mattblaues elektrisches Licht schimmerte vom Fuße der gewendelten Eisentreppe hinauf, die vor uns ins Schiff hinabführte. Kein Laut war zu hören – und das war etwas, was nun ganz und gar nicht mehr normal war. Ich wusste, dass sich die NAUTILUS mit Hilfe ihrer großen Elektromotoren nahezu lautlos bewegen konnte, und dass Nemo diese Schleichfahrt gerade in der Nähe der Küste bevorzugte – aber eben nur nahezu lautlos. Das Schiff, das sich wie eine metallene Höhle unter uns erstreckte, aber war still wie ein gigantisches Grab. Behutsam gingen wir die Treppe hinab – Howard, der mit seiner Schusswaffe einem Angriff sicherlich am besten gewachsen war, als Erster – und erreichten schließlich die Kommandobrücke. Die Tür war nur angelehnt und dahinter lagen die ersten Bewusstlosen. Die Männer waren niedergeschlagen worden; und das offensichtlich von jemandem, dem es scheißegal war, ob er sie damit umbrachte oder nicht.
»Zum Teufel, wie viele Ihrer Matrosen hat dieser … dieser Wahnsinn erwischt?«, fragte Howard unwillig.
Van der Croft biss sich unsicher auf die Unterlippe. »Die Wahnsinnigen entwickeln unglaubliche Kräfte«, erklärte er, wobei er sich mit wachsender Unsicherheit umsah. »Es könnte sein, dass Haller allein für alles verantwortlich ist.«
»Ein Mann allein?«, fragte ich ungläubig.
Van der Croft zuckte nur mit den Schultern, kniete neben einem der reglos daliegenden Männer nieder und drehte ihn auf den Rücken. Der Mann stöhnte, wachte aber nicht auf.
»Was ist mit den Kontrollen?«, fragte Howard.
Der Holländer erhob sich, eilte zum Steuerpult des Schiffes und beschäftigte sich gute fünf Minuten damit, die verwirrenden Geräte und Schalter zu prüfen, ehe er sich mit einem erleichterten Seufzer umwandte. »Alles in Ordnung«, sagte er. »Wir können zurückfahren – wenn noch genug Männer übrig sind, das Schiff zu manövrieren«, fügte er hinzu.
Ich schenkte ihm einen finsteren Blick, ging jedoch nicht weiter darauf ein, sondern deutete mit einer Kopfbewegung zur Tür zurück. »Sie bleiben hier«, sagte ich. »Howard und ich durchsuchen das Schiff.«
»Seien Sie vorsichtig«, riet van der Croft. Ich schluckte die Antwort herunter, die mir auf der Zunge lag, fuhr herum und verließ hinter Howard die Brücke.
Die nächste halbe Stunde verbrachten wir damit, die NAUTILUS vom Bug bis zum Heck zu durchsuchen. Überall bot sich uns der gleiche Anblick: bewusstlose und niedergeschlagene Männer, von denen die ersten sich stöhnend wieder aufrichteten, willkürlich zertrümmerte Geräte, zerbrochene Möbelstücke. Es war ein unheimliches Gefühl, durch den Leib dieses riesigen stählernen Schiffes zu gehen und die Spuren dieser Verwüstungen zu erblicken, die ein einzelner Mann angerichtet hatte – und dass es Haller allein gewesen war, daran bestand eigentlich kein Zweifel mehr, so unglaublich es schien, denn einen weiteren Wahnsinnigen fanden wir nicht. Nicht zum ersten Mal kam mir schmerzhaft zu Bewusstsein, wie verwundbar dieser Gigant aus Stahl und ans Wunderbare grenzende Technik doch war. Ich hatte selbst miterlebt, wie er ein mächtiges Kriegsschiff versenkt hatte – aber ich hatte ebenso miterlebt, wie ein einzelner Mann mit einem Schraubschlüssel die NAUTILUS in ein manövrierunfähiges Wrack verwandelte. Und wären wir jetzt nicht rechtzeitig gekommen, hätte Haller nachgeholt, was Spears damals misslungen war.
»Wo ist Nemo?«, fragte ich, nachdem wir auf die Brücke zurückgegangen waren. Die Männer begannen einer nach dem anderen wieder zu erwachen, aber van der Croft war trotzdem der Einzige, der klar genug schien, mir eine einfache Antwort auf eine einfache
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