Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II
auf der Stelle getötet zu werden, und doch spürte ich die ganze Zeit seine Blicke auf mir. Ich wusste, was in ihm vorging. Und es machte mich fast wahnsinnig, nichts dazu sagen zu können.
Aber das konnte ich nicht, weil ich einfach nicht mehr verstand, was all dies bedeutete. Es gab keine Ausrede mehr, keine auch nur an den Haaren herbeigezogene Erklärung: Der Shoggote half uns. Das gleiche, ungeheuerliche Wesen, das bisher Crowleys Befehlen gehorcht hatte, stand nun auf unserer Seite.
Mehr durch Glück als Absicht (wobei ich nicht mehr wirklich daran zweifelte, dass gewisse unsichtbare Kräfte diesem Glück gehörig auf die Sprünge geholfen hatten) erreichten wir die Steilküste unmittelbar dort, wo sich die schäumenden Wellen am Fuße der Treppe brachen. Und durch eine weitere Laune des Schicksals ließ der wütende Ansturm der Flut gegen den Fels für einen Moment nach; gerade lange genug, dass Cohen und ich das hölzerne Bauwerk erreichen und uns mit letzter Kraft ein Stück weit hinaufziehen konnten.
Erschöpft blieben wir einen Moment nebeneinander liegen, doch uns blieb nicht viel Zeit, Kräfte zu sammeln. Das Wüten der Wellen hob wieder an, heftiger noch als zuvor, und jetzt, als wir aus dem Wasser heraus waren, spürten wir erst, welche Kraft der Sturm mittlerweile gewonnen hatte. Im Norden zuckte Blitz auf Blitz vom Himmel und das Grollen der Donnerschläge verschmolz allmählich zu einem einzigen, nicht enden wollenden Rumpeln und Dröhnen, als begänne das gesamte Himmelsgewölbe einzustürzen.
Vielleicht geschah es ja auch, dachte ich. Ich musste plötzlich wieder an Crowleys Schrei denken, die unvorstellbare Angst in seiner Stimme, und seine Worte: Die Beschwörung muss beendet werden oder etwas Furchtbares wird geschehen!
Welche Gewalten hatte dieser Wahnsinn heraufbeschworen? Welche Folgen würde sein blasphemisches Tun haben, das er nun nicht mehr zu Ende bringen konnte?
Plötzlich durchfuhr mich ein neuer, eisiger Schrecken. Vielleicht war das scheinbar sinnlose Benehmen des Shoggoten doch nicht so sinnlos gewesen. Vielleicht war auch Crowley letzten Endes nur ein ahnungsloses Werkzeug, zu nichts anderem gedacht, als das Ende der Welt einzuleiten, und vielleicht war das, was nun geschah, genau das, was die GROSSEN ALTEN in Wirklichkeit geplant hatten.
Der Gedanke war zu kompliziert, um ihn völlig zu Ende zu verfolgen, und mir blieb auch gar nicht die Zeit dazu. Das Wasser stieg immer schneller. Wir waren einige Stufen weit in die Höhe gekrochen, aber nun leckten die Wogen bereits wieder an Cohens und meinen Füßen, sodass wir uns hastig erhoben und die Treppe weiter hinaufliefen; hintereinander und eng mit dem Rücken gegen den Fels gepresst, um von den tobenden Sturmböen nicht einfach wieder in die Tiefe gerissen zu werden.
Der gefährlichste Moment kam, als wir auf die Küste hinauftraten, denn plötzlich war keine Felswand mehr da, an die wir uns hätten klammern können, und der Sturm fiel wie mit unsichtbaren Fäusten über uns her. Cohen taumelte neben mir, fiel auf die Knie herab und drohte für eine schreckliche Sekunde nach hinten und wieder in den Abgrund zu kippen. Gedankenschnell ergriff ich ihn und zerrte ihn zurück, aber in Cohens Augen war keine Spur von Dankbarkeit oder Erleichterung. Mit einer eindeutig zornigen Bewegung riss er sich los, kämpfte sich mühsam wieder auf die Füße und entfernte sich taumelnd zwei, drei Schritte weit von der Felskante, ehe er stehen blieb.
Für eine halbe Sekunde ließ der Sturm nach; so abrupt, dass ich vor lauter Überraschung taumelte und fast die Balance verloren hätte. Und hätte ich in diesem Moment darauf wetten sollen, dass selbst die Naturkräfte auf seiten unserer Gegner standen, ich hätte es ohne zu zögern getan und zu jedem Einsatz, denn schon im gleichen Augenblick fauchte eine neuerliche, doppelt heftige Sturmböe über die Küste und verwandelte meinen hastigen Schritt, mit dem ich mein Gleichgewicht hatte wiederfinden wollen, in einen langgestreckten Sturz, der mich flach in den Morast schleuderte.
Ich blieb eine Sekunde lang liegen, dann hob ich benommen den Kopf, spuckte hustend den Mund voll Schlamm aus, in dessen Genuss ich unfreiwillig gekommen war, und fuhr mir mit der linken Hand über das Gesicht, um wenigstens den ärgsten Morast fortzuwischen. Dann erstarrte ich mitten in der Bewegung. Ich konnte selbst spüren, wie meine Augen vor Entsetzen weit wurden, als ich auf meine Finger herabblickte.
Der
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