Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II
bestand. Wenn sie sich auf uns stürzten, musste es in Sekunden vorbei sein. Schon die bloße Masse der ungezählten Tiere musste ausreichen, uns einfach zu zerdrücken.
Doch der entscheidende Angriff, auf den ich wartete, blieb aus. Die Tauben zogen sich immer dichter um uns zusammen, ohne jedoch eine gewisse Distanz jemals zu unterschreiten – und schließlich teilte sich der rasende lebendige Strudel wieder, um eine schlanke Kindergestalt mit dunklem Haar hindurchzulassen.
Ich war nicht im mindesten überrascht, Joshua Pasons zu erkennen. Im Grunde hätte ich es schon viel früher begreifen müssen – schließlich hatte er mir gesagt, dass wir uns wiedersehen würden, und obwohl er ein Kind war, hatte ich nie den Eindruck gehabt, dass er zu den Menschen gehörte, die leere Drohungen ausstießen. Was mich überraschte, ja, zutiefst entsetzte, das waren die Umstände, die sein Erscheinen begleiteten – denn ich spürte mit dem mir verbliebenen winzigen Rest meiner magischen Kräfte, dass niemand anderes als er all diese Tiere über uns in der Luft beherrschte.
Seltsamerweise hatte ich überhaupt keine Angst. Mir war klar, dass Pasons gekommen war um mich zu töten. Ich hatte seinen Meister besiegt, hatte seinen dämonischen Ziehvater getötet und all seine Brüder vernichtet; und jetzt war er gekommen um seine Rache zu vollziehen, ganz wie er es mir bei unserem letzten Zusammentreffen in Brandersgate prophezeit hatte. Trotz allem hatte ich dieser Drohung nicht viel Bedeutung zugemessen, und wie auch? Schließlich war er ein Kind von fünf, allerhöchstens sechs Jahren und von seiner magischen Begabung, die nun offenkundig zutage trat, hatte ich bisher nichts ahnen können.
Aber ich hatte keine Angst mehr vor dem Tod, sondern sehnte ihn beinahe herbei.
Joshua Pasons kam langsam auf mich zu. Sein Gesicht war bleich und sah übernächtigt und fast ein bisschen krank aus. Sein Blick flackerte und seine Haltung war so verkrampft, als bereite ihm jeder Schritt unendliche Mühe. Seine Hände zitterten, obwohl er sie zu Fäusten geballt hatte. Zwei Schritte vor mir blieb er stehen, sah sekundenlang mit ausdruckslosem Gesicht auf mich herab und flüsterte dann: »Meister! Dem Herrn sei Dank, dass ich Euch gefunden habe!«
Es war wie ein Beben in der Wirklichkeit. Howard konnte das, was er sah, hörte und empfand, nicht mit anderen Worten beschreiben; und selbst diese taten es nur sehr unzureichend. Die Realität verbog sich wie ein Band aus Stahl, auf das ein immer unerträglicher werdender Druck ausgeübt wurde, driftete ein Stück weit in die Richtung ab, in der der Irrsinn und das Chaos wohnen, und schnappte dann mit einem beinahe hörbaren Laut wieder zurück; ein Werkstück, das für einen Moment aus seiner Form gehebelt worden war und nun wieder seinen ursprünglichen Platz einnahm, aber nicht mehr ganz passte.
Howard taumelte und wäre um ein Haar gestürzt, so heftig war das Schwindelgefühl, das ihn ergriffen hatte. Alles drehte sich um ihn. Die Halle, der zusammengebackene Morast auf dem Boden, die zerborstene Decke und die bizarr geformten Nischen in den Wänden führten einen irren Tanz rings um ihn auf und das Schwindelgefühl steigerte sich zu einer Intensität, die er niemals zuvor im Leben verspürt hatte. Für einen grässlichen Moment hatte er das Gefühl, durch die Maschen der Wirklichkeit zu stürzen, hinab in einen Abgrund aus Schwärze, der sich unter ihm auftat und das ganze Universum zu verschlingen drohte. Es dauerte lange, bis der Boden unter seinen Füßen zu wanken und die Welt in seinem Kopf sich zu drehen aufhörte.
Stöhnend richtete er sich wieder zu seiner vollen Größe auf und sah Rowlf an. Auch der rothaarige Riese hatte sich gegen die Wand sinken lassen. Er zitterte am ganzen Leib und sein Gesicht war so bleich wie die sprichwörtliche Wand. »Was war das?«, stammelte er. »Verdammich, Howard, was ist passiert?«
Howard antwortete nicht, sondern sah sich mit einer Mischung aus Furcht und Fassungslosigkeit in der Halle um, wobei das Staunen mehr und mehr überwog.
»Was war’n das?«, wiederholte Rowlf. »Ein Erdbeben?«
Howard antwortete noch immer nicht. Aber das war auch nicht notwendig – sie wussten beide, dass das, was sie gefühlt hatten, alles andere als ein Erdbeben gewesen waren. Es war die Struktur des Universums selbst, die erzittert war, und die einzelnen Teile hatten sich für einen Moment von ihrem Platz gelöst und waren dann wieder zurückgefallen;
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