Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II
denn ich spürte, dass er es nicht aus Eigennutz, oder wenn, so nur zu einem ganz geringen Teil, gemacht hatte. Der eigentliche Grund war, dass ich ihm einfach Leid tat. Zugleich schürte sein Mitleid den bohrenden Schmerz in meiner Seele noch, denn es machte mir abermals klar, was ich war – nämlich nichts als ein uralter, bemitleidenswerter Greis, der schon mit mehr als einem Bein im Grab stand. Und für einen Moment wünschte ich mir, es wäre vorbei. Plötzlich erschien mir der Tod, dem ich so oft ins Auge geblickt und dem ich so oft ein Schnippchen geschlagen hatte, beinahe erstrebenswert. Für einige Augenblicke hatte er nichts Bedrohliches mehr, war er nichts, das man fürchten musste, sondern erschien mir im Gegenteil als eine Erlösung. Und für eine geraume Weile hockte ich einfach da und sah Landon an, bis mir sein immer fragender Gesichtsausdruck klar machte, dass er nicht verstand, was sein Vorschlag wirklich in mir ausgelöst hatte. Und noch immer auf eine Antwort wartete.
»Du hast Recht«, sagte ich. »Jemand hat mir etwas gestohlen. Aber es ist nichts, was ihr mir zurückbringen könntet.«
Landon wollte antworten, aber dann runzelte er stattdessen nur erneut und noch tiefer die Stirn, wandte plötzlich den Blick zum Fenster und sah sekundenlang aufmerksam in den Regen hinaus. Er bewegte sich nicht, aber seine Haltung war plötzlich angespannt.
»Was hast du?«, fragte ich.
Landon deutete ein Kopfschütteln an, ohne den Blick vom Fenster zu nehmen. »Nichts«, sagte er. »Ich dachte, ich hätte etwas gesehen, aber …«
In diesem Moment gewahrte auch ich eine Bewegung draußen. Der Regen strömte noch immer mit monotoner Gleichmäßigkeit vom Himmel, aber es war eine Bewegung, die nicht in sein Muster passte; sie war zu schnell, zu ruckartig.
Landon wandte nun doch den Kopf, tauschte einen raschen, besorgten Blick mit mir und sah dann für Sekunden wieder aus dem Fenster, ehe er sich mit umständlichen Bewegungen aus seiner Decke schälte und aufstand.
»Da ist doch irgendwas«, murmelte er. Dann, lauter: »Hank, Steve – kommt mit. Da draußen schleicht einer ’rum.«
Die beiden Angesprochenen erhoben sich wortlos und mit erstaunlicher Schnelligkeit von ihren Lagern und auch ich wollte aufstehen, aber Landon machte eine abwehrende Geste.
»Bleib lieber hier, Alter«, sagte er. »Es könnte Ärger geben.«
Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und ging mit schnellen Schritten und gefolgt von den beiden anderen aus dem Raum.
Ich sah ihnen nach, bis sie verschwunden waren, dann machte ich abermals Anstalten aufzustehen. Aber wieder wurde ich zurückgehalten. Diesmal war es Natty, die mit einer raschen Bewegung nach meinem Arm griff und mich festhielt. Ich hatte bisher nicht einmal bemerkt, dass sie wach geworden war, und versuchte mich ganz instinktiv loszureißen, doch meine Kraft reichte nicht. Natty schien meine Gegenwehr nicht einmal zu spüren.
»Tu lieber, was Landon sagt«, sagte sie. »Wenn das die sind, von denen ich glaube, dass sie es sind, könnte es gefährlich werden.«
Ich sah sie fragend an und sie fuhr mit einer auf das Fenster deutenden Geste fort: »Diese verdammten Bälger waren schon drei Mal hier.«
»Wovon sprichst du?«, erkundigte ich mich.
»Kinder!«, sagte Natty, so verächtlich, dass ich erneut und noch verwirrter die Stirn runzelte. »Aber keine, wie du sie vielleicht kennst. Sie machen sich einen Spaß daraus, uns zu jagen. Vorigen Monat haben sie Hank aufgelauert und ihn so übel verprügelt, dass ich dachte, er würde sterben.«
Sie ließ meinen Arm los. Ihr Griff war so fest gewesen, dass ihre Finger schmerzende Druckstellen auf meiner Haut hinterließen. Während ich unbewusst mit der anderen Hand darüber rieb, wanderte mein Blick zwischen ihrem Gesicht und dem Fenster hin und her. Wieder glaubte ich eine schnelle, huschende Bewegung wahrzunehmen, und zugleich signalisierten meine Sinne eine deutliche Gefahr. Ich spürte einfach, dass dort draußen etwas war – und es waren nicht die Mitglieder einer Kinderbande, wie Natty und wohl auch die anderen vermuteten.
Langsam wandte ich mich um und schlurfte auf den Ausgang zu. Natty blickte mich strafend und kopfschüttelnd an, versuchte aber nicht noch einmal, mich zurückzuhalten. Dafür erhoben sich zwei weitere Männer von ihren Lagern, folgten mir und gingen rasch an mir vorbei, noch bevor ich selbst den Raum verlassen konnte.
Als ich auf den Hof hinaustrat, spürte ich als Erstes, wie warm es
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