Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
Hallen des Gongs härter, schneller und so aggressiv, dass Howard glaubte, die einzelnen Schläge fast als körperlichen Schmerz spüren zu können. Norris zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen, bäumte sich in seiner unsichtbaren Fessel auf, ohne sie dadurch abstreifen zu können, und begann zu bluten.
Howard sah keine Wunde, keinerlei sichtbare Verletzung, aber mit einem Male war die Luft rings um Norris erfüllt von rotem Nebel: Millionen und Abermillionen winziger blutiger Tränen, die langsam in die Tiefe zu sinken begannen.
Sie erreichten den See nicht. Etwa auf halbem Weg zwischen der Lava und dem unglückseligen Opfer begann sich der rote Nebel zu sammeln und formte sich zu einer konkaven, nach unten gewölbten Scheibe von gut fünf Yards Durchmesser. Norris’ Schreie verstummten, wahrscheinlich war er bereits tot. Howard hoffte, dass es so war.
Wieder änderte sich etwas im Summen der Kuttenträger. Zuerst spürte Howard den Unterschied nur, ohne ihn näher definieren zu können, dann begann er Worte aus dem monotonen Singsang herauszuhören.
»Thuuuuul«, summte die Menge. »Thuuuuul.«
Es dauerte einige Sekunden, bis Howard die beiden Worte erkannte.
THUL SADUUN.
Die eisige Hand, die sich noch immer um sein Herz zu pressen schien, drückte mit einem harten Ruck fester zu. Er hatte gewusst, mit wem er es hier zu tun hatte und was geschehen würde, aber etwas nur zu wissen und es selbst zu erleben, war ein gewaltiger Unterschied.
»Thul!«, summte die Menge und plötzlich klang das Wort anders – härter, fordernder, nicht mehr wie eine Bitte oder wie ein Ruf, sondern wie ein Befehl. »Thul Saduun! Thul Saduun!« Immer und immer wieder.
Dann begann es tief unten im Herzen der kochenden Lava zu zucken. Etwas Großes, Rauchiges war für einen kurzen Moment in der brodelnden Glut sichtbar und zerfloss sofort wieder.
»Thul Saduun!«, brüllten die Männer. »Thul Saduun! Thul Saduun! Thul Saduun!«
Der Spiegel aus Blut unter Norris wurde fester, bis er wie eine glänzende Scheibe zwischen dem Toten und der Lava schwebte, glänzend, massiv wie Stahl und rasend schnell um die eigene Achse rotierend.
Und in der Tiefe bildeten sich Körper …
Wie beim ersten Mal waren sie nicht wirklich zu erkennen. Ein Teil der Lava schien sich schwarz zu färben, bildete dunkle, sich auf unbeschreibliche Weise in sich selbst windende Schläuche, faserige Stränge rauchiger Schwärze. Tastend, wie blinde schwarze Würmer, griffen sie nach oben, immer wieder zerfließend, als wäre ihre Existenz auf dieser Ebene des Seins nicht wirklich genug, bis sie schließlich den Spiegel aus Blut berührten und den roten Nebel gierig in sich aufzunehmen begannen.
Mehr …
Es war kein Wort, kein gedanklicher Befehl, keine irgendwie geartete Form der Verständigung, wie Howard sie jemals kennen gelernt hatte, sondern ein Gefühl unbeschreiblicher, unstillbarer Gier, das die Halle erfüllte und auch in ihm war.
Mehr!, schrien die Würmer und » Thul Saduun!«, schrien die Kuttenträger, ein furchtbarer, atonaler Wechselgesang, der Howard aufschreien, die Hände gegen die Schläfen pressen und in die Knie sinken ließ.
Dann packte die unsichtbare Hand plötzlich auch ihn. Er hatte gewusst, dass es geschehen würde, und trotzdem schrie er wie von Sinnen auf, warf sich herum und begann wie in Raserei um sich zu schlagen. Natürlich nutzte es nichts. Die Berührung war sanft wie die eines Lufthauches, aber gleichzeitig auch von übermenschlicher Stärke. Etwas Unsichtbares griff nach ihm und schmiegte sich wie eine zweite, eisige Haut um seinen Körper. Er verlor den Boden unter den Füßen, wurde sanft in die Höhe gehoben und glitt schwerelos über den Rand des Steges hinaus. Hilflos musste er miterleben, wie er über den Höllenpfuhl gehoben wurde.
Nur Sekunden später begann sich die unsichtbare Hand um ihn zusammenzupressen.
Im ersten Moment war es kaum zu spüren, nicht mehr als ein sanfter Druck, der ihn von allen Seiten gleichzeitig umschloss, sich aber rasend schnell steigerte. Howard spürte, wie sein Herz langsamer zu schlagen begann, wie sich das Blut in seinen Adern staute. Sein Blick verschleierte sich, wurde rot und wabernd und plötzlich atmete er roten Nebel und hatte einen bitteren Metallgeschmack auf der Zunge.
Das also war der Tod, dachte Howard matt. Es tat nicht einmal weh. Die gleiche unsichtbare Macht, die ihn gepackt hielt, verhinderte auch, dass er Schmerzen oder auch nur Furcht empfand. Sein
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