Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
lassen sollte. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie austrinken und mein Haus verlassen würden, denn ich bin sehr beschäftigt.«
»Damit, vor der Vergangenheit zu flüchten?«, fragte ich leise.
Zorn, der nur mühsam die immer stärker auflodernde Furcht überdecken konnte, keimte in seinem Blick auf. »Ich sagte -«
»Ich weiß, was Sie gesagt haben, und ich weiß auch, dass es nicht die Wahrheit ist«, unterbrach ich ihn. »Sie haben Ihren Dienst quittiert und sich hier verkrochen, weil Sie immer noch panische Angst haben. Sie sehen übermüdet aus und unter Ihren Augen liegen dunkle Schatten. Ich bin sicher, Sie schlafen nicht viel, ist es nicht so?«
»Hören Sie auf!«, sagte Blossom. Seine Stimme zitterte. »Ich weiß nicht einmal, wovon Sie reden! Gehen Sie! Gehen Sie endlich!«
»Wir wollen Ihnen doch nur helfen«, antwortete ich.
»Sie -«, begann er, doch ich fiel ihm abermals ins Wort:
»Ich habe schon oft Menschen wie Sie getroffen. Wie ich schon sagte, haben Mister Lovecraft und ich einige Erfahrungen mit solcherlei … nun ja, Phänomenen. Auch für mich war es ein Schock, als ich damals erkannte, dass es jenseits unserer Realität noch eine zweite Wirklichkeit gibt.«
»Das ist lächerlich!«, keuchte Blossom. Er zitterte am ganzen Leib. Der Mann tat mir inständig Leid. Ich konnte mir gut vorstellen, wie er das letzte Jahr verbracht hatte. Und nun kam ich hierher und riss die Wunden, die gerade mühsam zu verheilen begonnen hatten, wieder auf. Aber es musste sein. So sanft ich konnte, fuhr ich fort: »Es gibt Sie, Blossom, glauben Sie mir. Und es ist eine Welt voller finsterer Mächte und schrecklicher Wesenheiten. Ich bin überzeugt, dass das, was Sie damals auf der Insel erlebt haben, mit diesen Mächten im Zusammenhang steht, und dass es etwas hiermit zu tun hat.«
Während ich sprach, zog ich den flachen Steinbrocken, den ich von Cohen erhalten hatte, aus der Tasche und hielt ihn Blossom entgegen. Die Wirkung war erstaunlich. Sein Zorn verrauchte schlagartig und endgültig wich nackter Panik. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen, er wurde blass. Seine Hände begannen so stark zu zittern, dass er sie um die Lehnen des Schaukelstuhls krallte. »Woher … haben sie das?«, stieß er mit bebender Stimme hervor.
»Hasseltime hatte es bei sich«, erklärte ich. »Und ich vermute, dass er es auf dieser Insel gefunden hat. Dass es ein kleiner Teil eines sehr viel größeren Reliefs ist.«
Blossom schwieg fast eine Minute lang und starrte abwechselnd mich und das Symbol auf dem Stein mit flackerndem Blick an, dann nickte er zögernd. Mühsam stemmte er sich in die Höhe, ging mit schleppenden Schritten zu dem Bild mit dem Schiffsuntergang neben dem Kamin, das mir zuvor schon durch seine Blicke in diese Richtung aufgefallen war, und nahm es ab. Dahinter kam ein kleiner, in die Wand eingelassener Tresor zum Vorschein. Blossom öffnete den Safe und griff hinein. Als er die Hand zurückzog, hatte er einen ähnlichen Stein ergriffen, in den ein ebenso sinnverwirrendes Symbol eingraviert war. Er berührte ihn nur mit den Fingerspitzen und hielt ihn so vorsichtig fest, als fürchtete er, sich daran zu verbrennen.
»Sie haben Recht«, murmelte er und legte den Stein auf den Tisch. Seine Stimme klang brüchig. »Ich habe niemals jemandem erzählt, was damals wirklich geschehen ist, weil ich wusste, dass mir ohnehin niemand glauben würde.« Er ließ sich wieder in seinen Schaukelstuhl sinken. »Aber das wissen Sie ja sowieso schon.«
»Aber ich nicht«, sagte Howard. Er musterte abwechselnd mich und Blossom. »Vielleicht wäre ja jemand so gütig, mir zu erzählen, was hier überhaupt vorgeht?«
Ich warf Blossom einen auffordernden Blick zu. Auch ich kannte ja nur einen kleinen Teil seiner Erlebnisse auf der Insel.
»Also gut«, seufzte Blossom. »Ich werde Ihnen alles erzählen. Vielleicht werden Sie mich für verrückt halten, aber ich schwöre, dass jedes Wort der Wahrheit entspricht.«
Er begann zu berichten.
28. September 1892
Sie waren noch zu dritt. Ein Stück neben Blossom lehnte ein Soldat an der Wand, keuchend und mit aschfahlem Gesicht und zu Tode erschöpft, einige Schritte den Gang hinab kniete eine zweite, zitternde Gestalt. Von den anderen war keine Spur mehr zu sehen.
»Was … was war das … Sir?«, stammelte der Mann, der neben ihm lehnte. Sein Gesicht war so bleich, dass es in der Dunkelheit zu leuchten schien, die Augen darin schwarze, mit nichts anderem als grauer
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