Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
waren, wechselten mehrere Matrosen geschickt zu ihnen über. Unter ihnen erkannte Blossom auch Frederics, den Steuermann der THUNDERCHILD.
»Was ist passiert?«, fragte Frederics. Er sah sich verstört im Boot um, dann in Richtung der kleinen Insel. »Wo sind die anderen?«
»Tot«, murmelte Blossom. »Sie sind alle tot. Ich erkläre es Ihnen später. Jetzt nichts wie weg hier. Die ganze Insel fliegt gleich in die Luft.«
Frederics erbleichte, war jedoch geistesgegenwärtig genug, keine weitere Zeit mit Fragen zu vergeuden, sondern begann Befehle zu brüllen. Die Matrosen legten sich mit aller Kraft in die Riemen und nun kamen sie wesentlich schneller vorwärts. Sie erreichten die THUNDERCHILD und kletterten an Bord. Kurz bevor der völlig erschöpfte Blossom von Frederics über die Reling gezogen wurde, wehte ein dumpfer, sonderbar nachhallender Donnerschlag von der Insel zu ihnen herüber.
Sonst nichts. Nur dieser eine trockene Knall.
Blossom taumelte. Alles drehte sich um ihn. Er war zu Tode erschöpft, nicht nur körperlich, sondern vielmehr auch geistig. Mit letzter Kraft wandte er sich um, lehnte sich schwer gegen die Reling und sah zur Insel zurück. Eine dünne Rauchwolke kräuselte sich aus dem Loch in ihrer Mitte, aber die gewaltige Explosion, auf die er gewartet hatte, blieb aus.
Blossom hätte vor Enttäuschung beinahe aufgestöhnt. Er hatte damit gerechnet, dass die Sprengstoffkiste beim Aufschlagen in fünfzig oder sechzig Yards Tiefe auseinanderbrach, doch auch die Explosion dieser einen Dynamitstange hätte trotzdem ausreichen müssen, auch die anderen zu zünden. Vielleicht hatte sie es ja sogar.
Ganz plötzlich wurde ihm klar, wie lächerlich das Unterfangen war, dieses gewaltige unterirdische Labyrinth mit einigen Dutzend Dynamitstangen sprengen zu wollen. Alle Sprengkraft der Welt zusammen hätte nicht gereicht, diese Insel zu zerstören.
»Kapitän Blossom!«, sagte Frederics. »Was ist dort drüben passiert? Wo sind die anderen Männer?« Seine Stimme klang scharf, fordernder, als es seinem Rang zukam, und verriet seine Nervosität. Doch Blossom kam nicht dazu zu antworten.
Er spürte es, kurz bevor es wirklich geschah. Ein unmerkliches Zittern ging durch die See und den stählernen Rumpf der THUNDERCHILD, etwas wie ein Donnergrollen, das man nicht hören, dafür aber umso deutlicher fühlen konnte, und dann -
Es war wie ein Vulkanausbruch. Eine grellweiße Stichflamme erhob sich über der Insel in die Luft, ein gleißender Speer aus Licht, der für einen Moment heller als die Sonne war, dann folgte eine Flut von orangerotem Feuer und ein Hagel von zerborstenem Fels und glühenden Gesteinsbrocken.
Die Explosion war unvorstellbar; hundert Mal heftiger, als das Dynamit sie hätte auslösen können. Aus dem Meer stürzte immer noch Feuer in den Himmel hinauf und die Druckwelle war so gewaltig, dass sich die THUNDERCHILD spürbar auf die Seite legte. Es sah aus, als erhebe sich das gesamte Eiland ein Stück weit in die Höhe, ehe es auseinander brach und von einer brodelnden Blutwolke verschlungen wurde.
Rot glühende Trümmerstücke regneten in weitem Umkreis auf das Meer herab und zahlreichere kleinere Brocken trafen die THUNDERCHILD. Einige prallten mit einem Dröhnen wie dem von Kanonenschüssen von den Panzerplatten ab, andere bohrten sich hinein und blieben darin stecken oder durchbrachen die Panzerung sogar. Auch auf das Deck des Schiffes ging ein Hagelschauer von Gesteinsbrocken nieder und verletzte mehrere Besatzungsmitglieder.
Wo die Insel gewesen war, bildete sich plötzlich ein Strudel, ein schäumender, weißer Sog, der sich schneller und immer schneller drehte und dann urplötzlich zu einem Geysir aus kochender Gischt wurde, der sich fünfzig oder hundert Yards weit in den Himmel erhob.
Eine gewaltige Flutwelle raste auf die THUNDERCHILD zu, traf den Zerstörer mit der Wucht eines Hammerschlages und ließ ihn sich abermals zur Seite neigen. Die beiden Boote, die sie noch nicht eingeholt hatten, wurden einfach unter Wasser gedrückt und verschwanden.
Dann war es vorbei.
Die THUNDERCHILD richtete sich mit einer majestätischen Bewegung wieder auf, einige kleinere Trümmerstücke klatschten noch hier und da ins Wasser und über dem Meer trieb schwarz-gelber Rauch. Die Insel existierte nicht mehr. Selbst, wenn die Explosion dem Labyrinth tief unter dem Meeresboden wahrscheinlich nicht viel hatte anhaben können, so war doch sein einziger Zugang zerstört.
Aber daran dachte
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