Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
Er sah mich eine Sekunde lang durchdringend an, dann gab er sich einen sichtbaren Ruck und wechselte sowohl das Thema wie die Tonart: »Also gut – was hältst du von alledem?«
»Blossom sagt die Wahrheit«, antwortete ich überzeugt. »Ich war zwar nicht die ganze Zeit über bei ihm und seinen Männern, aber was ich gesehen habe, bestätigt seine Behauptung. Außerdem – warum sollte er sich so eine Geschichte ausdenken? Der Mann hat Angst, panische Angst, selbst jetzt noch.« Ich machte eine kurze Pause. »Viel mehr Sorgen bereiten mir die vielen Fragen, die immer noch ungeklärt sind. Wir wissen nach wie vor nicht, wie Hasseltime die vergangenen Monate überleben konnte und wie er in die von der Außenwelt abgeschlossenen Höhlen gelangt ist. Außerdem ist immer noch ungeklärt, was es mit dieser Insel überhaupt auf sich hat. Es handelt sich nicht um R’lyeh, soviel steht wohl fest, aber nach allem, was wir erfahren haben, hätte sich die Stadt der schwarzen Pyramide fast genau an dieser Stelle befinden müssen.«
Howard nickte nachdenklich. »Wir wissen immerhin bereits, dass die Bezeichnung R’lyehs als Stadt auf dem Grund des Meeres mehrdeutig zu verstehen ist«, entgegnete er. »Vor Millionen von Jahren hat sie einst auf dem Festland gelegen. Wenn sie dann versank, könnte das eine Folge der Kontinentalverschiebung gewesen sein. Zugleich ist aber auch das Meer der Zeit gemeint. R’lyeh bewegt sich in der Zeit und die Zeit ist ein sensibles Gebilde. George Wells hat sie mit seiner Maschine gründlich durcheinander gebracht und auch Crowley hat die Zeitlinien durch seine Manipulationen verschoben. Niemand weiß, was mit R’lyeh passiert ist, aber wir wissen, dass sich die Stadt dort befunden haben muss.«
»Oder einmal befinden wird«, fügte ich hinzu.
Howard nickte nachdenklich. »Zumindest etwas von ihrer finsteren Magie ist offenbar an diesem Ort zurückgeblieben.«
»Das wäre eine Möglichkeit«, räumte ich ein, obwohl mich die Theorie nicht völlig überzeugte. »Schade, dass Hasseltime selbst uns nichts sagen kann.«
»Du könntest versuchen, mit deinen magischen Kräften in seinen Verstand einzudringen«, schlug Howard zögernd vor.
»Auf keinen Fall.« Ich schüttelte entschieden den Kopf. Das magische Erbe meines Vaters war mir nach wie vor unheimlich. Wann immer ich meine Kräfte eingesetzt hatte, hatte dies meist schlimme Folgen gehabt und Unheil über andere gebracht. Anfangs hatte ich es für einen Fluch gehalten, der über mir lastete, doch möglicherweise war es nichts anderes als der Preis, den ich dafür zahlen musste, mich dieses finsteren Erbes zu bedienen. Aus diesem Grund schreckte ich davor zurück, wann immer es möglich war. Howard wusste das und er versuchte deshalb auch gar nicht mich zu überreden.
»Wir werden mit Hasseltime reden, aber das ist auch alles. Zunächst aber möchte ich noch einmal in diese Stollen.«
»Warum?«
»Weil ich mir unbedingt noch einmal den kleinen See in der Höhle ansehen möchte«, antwortete ich. »Wenn es einen versteckten Zugang gibt, dann nur dort.«
»Cohen hat doch bereits Leute hinabtauchen lassen«, wandte Howard ein. »Warum interessiert dich gerade der See?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Nur ein vages Gefühl. Vielleicht ist es Zufall, aber … wie Blossom erzählt hat, wurde Hasseltime in den See hinuntergezerrt, der unter der Insel lag. Und in einem der Stollen, aus denen er herausgekommen ist, befindet sich auch ein See.«
»Wie du meinst.« Howard wirkte nicht sehr überzeugt, erhob aber auch keine Einwände. »Wenn ich dich zurück zum Hilton bringen soll, ist es kein großer Umweg. Aber vorher sollten wir noch schnell bei mir zu Hause vorbeifahren. Ich muss etwas holen.«
Ich verkniff mir die Frage, um was es sich handelte. Wenn Howard unbedingt den Geheimnisvollen spielen wollte – bitte, ich hatte Geduld.
»Der Kerl ist mir unheimlich«, sagte Oskins. Die Worte galten niemand Bestimmtem und das konnten sie auch nicht, denn der grauhaarige Wärter stand völlig allein vor der Zelle, in der der Gefangene untergebracht war, und trotzdem hatte er das Gefühl, eine Antwort zu bekommen; als wäre da plötzlich ein Echo, das die Worte wiederholte und gleichsam verzerrt zurückwarf, sodass sie zu etwas Anderem, Ungutem wurden, das ihn schaudern ließ.
Natürlich war das bloße Einbildung. Es gab hier kein Echo. Oskins versah seinen Dienst als Gefängnisaufseher mittlerweile im fünfundzwanzigsten Jahr und es
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