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Großmacht sehen wir in Europa und einen Mann an der Spitze, die Verständnis besitzen für die Notlage unseres Volkes. Es ist, ich darf es wohl aussprechen, mein großer Freund: Benito Mussolini.»
Die Menge schreit: «Heil Duce!»
«Beneš aber sitzt in Prag und ist überzeugt: ‹Mir kann nichts passieren, am Ende stehen hinter mir England und Frankreich.›»
Ausgedehntes Gelächter.
«Und nun, meine Volksgenossen, glaube ich, dass der Zeitpunkt gekommen ist, an dem nun Fraktur geredet werden muss. Denn schließlich hat Beneš sieben Millionen Tschechen, hier aber steht ein Volk von über fünfundsiebzig Millionen.»
Frenetischer Applaus.
«Ich bin Herrn Chamberlain dankbar für alle seine Bemühungen. Ich habe ihm versichert, dass das deutsche Volk nichts anderes will als Frieden. Ich habe ihm weiter versichert und wiederhole es hier, dass es – wenn dieses Problem gelöst ist – für Deutschland in Europa kein territoriales Problem mehr gibt! Wir wollen gar keine Tschechen! Allein, ebenso will ich nun vor dem deutschen Volke erklären, dass in Bezug auf das sudetendeutsche Problem meine Geduld jetzt zu Ende ist! Ich habe Herrn Beneš ein Angebot gemacht, das nichts anderes ist als die Realisierung dessen, was er selbst schon zugesichert hat. Er hat jetzt die Entscheidung in seiner Hand! Frieden oder Krieg! Er wird entweder dieses Angebot akzeptieren und den Deutschen jetzt endlich die Freiheit geben, oder wir werden diese Freiheit uns selbst holen!
Das muss die Welt zur Kenntnis nehmen.»
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Während der Sudetenkrise tauchten erste Zeugenberichte über den Wahnsinn des Führers auf. Zu jener Zeit versetzte ihn die bloße Erwähnung von Beneš und den Tschechen in derartige Wut, dass er völlig die Beherrschung verlieren konnte. So wurde berichtet, man habe einmal gesehen, wie er sich auf den Fußboden geworfen und im Teppich verbissen habe. Seine wahnwitzigen Wutausbrüche und sein manisches Temperament brachten ihm (sicher auch wegen dieser Anekdote) in kurzer Zeit in den Kreisen, die dem Nationalsozialismus immer noch feindlich gesinnt waren, den Beinamen «Teppichfresser» ein. Ich weiß nicht, ob er es sich zur Gewohnheit machte, rasend vor Wut an einem Teppich herumzunagen, oder ob sich dieses Symptom nach München nicht wiederholte.
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27. September 1938, zwei Tage vor dem Münchener Abkommen. Die Welt hält den Atem an. Hitler ist bedrohlicher denn je. Die Tschechen wissen, dass sie dem Tod geweiht sind, wenn sie das Sudetenland nicht an die Deutschen abtreten, die dort die natürliche Grenze ihres Reiches sehen. Chamberlain erklärt:
«Wie schrecklich, wie grotesk, wie unglaublich ist es, dass wir hier bei uns Schützengräben ausheben sollen, wegen Streitigkeiten in einem fernen Land zwischen Menschen, von denen wir nichts wissen.»
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Saint-John Perse gehört wie Claudel oder Giraudoux jenem Schlag von Schriftsteller-Diplomaten an, die ich wie die Pest hasse. In seinem Fall scheint mir meine instinktive Abscheu besonders gerechtfertigt, wenn man sein Verhalten seit September 1938 in Betracht zieht.
Alexis Léger (so lautet sein wahrer Name) begleitet Daladier als Generalsekretär des französischen Außenministeriums nach München. Sein oberstes Ziel ist die Erhaltung des Friedens – als Befürworter einer gnadenlosen Durchhaltepolitik hat er ohne Pause geackert, um den französischen Premierminister zu überzeugen, allen Forderungen der Deutschen nachzugeben. Er ist zugegen, als die tschechischen Repräsentanten hereingerufen werden, um über ihr Schicksal unterrichtet zu werden – 12 Stunden nach Unterzeichnung des Abkommens, das ohne sie getroffen wurde.
Hitler und Mussolini sind bereits gegangen, Chamberlain gähnt ostentativ, und Daladier gelingt es mehr schlecht als recht, seine Verlegenheit hinter einer hochnäsigen Fassade zu verbergen. Als die zutiefst bestürzten Tschechen fragen, ob man von ihrer Regierung eine Antwort oder Erklärung erwarte, verschlug es ihm vermutlich vor Scham die Sprache (ein Wunder, dass weder er noch die anderen daran erstickt sind). Also springt sein Mitarbeiter für ihn in die Bresche und beantwortet die Frage mit einer solchen Arroganz und Frechheit, dass der tschechische Außenminister, der ebenfalls an der Diskussion teilnimmt, seine Ausführungen mit der lakonischen Bemerkung kommentiert: «Er ist Franzose.»
Das Abkommen ist beschlossene Sache, es wird keine Antwort erwartet. Stattdessen soll die tschechische Regierung ihren
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