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berüchtigten Chef des SD zu einem Treffen unter vier Augen zu empfangen. Heydrich weiß, dass ihm der Ruf des gefährlichsten Mannes des Reiches vorauseilt, und ist nicht wenig stolz auf diese Tatsache. Doch ihm ist auch bewusst, dass die Nazi-Oberen ihn in erster Linie derartig hofieren, um seinen Vorgesetzten Himmler zu schwächen. In ihren Augen ist Heydrich ein Instrument und noch kein Rivale. Sicher, in dem infernalischen Duo, das er mit Himmler bildet, wähnt man ihn als das Gehirn (HHHH: Himmlers Hirn heißt Heydrich), doch er bleibt Himmlers rechte Hand, der Untergeordnete, die Nummer zwei. Heydrich ist zu ehrgeizig, um sich auf ewig mit dieser Position begnügen zu wollen, doch im Moment kann er sich angesichts der Entwicklung des Machtgefüges innerhalb der Partei nur beglückwünschen, Himmler treu geblieben zu sein. Während dessen Macht unaufhörlich wächst, krebst der durch das Versagen der Luftwaffe in England in Ungnade gefallene Göring eher vor sich hin.
Doch Göring ist immer noch offiziell für die Judenfrage verantwortlich, und diesem Umstand verdankt er Heydrichs heutigen Besuch.
Zunächst jedoch muss Heydrich die Kindereien seines Gastgebers ertragen. Der aufgeblasene Hermann möchte ihm unbedingt seine elektrische Eisenbahn vorführen – ein Geschenk des preußischen Nationaltheaters, auf das er ausgesprochen stolz ist und mit dem er jeden Abend spielt. Heydrich zwingt sich zur Geduld. Nachdem er angesichts eines Privatkinos, türkischer Bäder, eines Salons, der jedem Pharao zur Ehre gereicht hätte, und sogar eines Löwen mit Namen Cäsar artig in Begeisterungsstürme ausgebrochen ist, darf er Göring gegenüber Platz nehmen. Sie befinden sich in einem holzgetäfelten Arbeitszimmer. Endlich kann Heydrich sein wertvolles Dokument hervorholen und dem Reichsmarschall vorlegen. Göring liest laut vor:
«Der Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches
Beauftragter für den Vierjahresplan
Vorsitzender des Ministerrats für die Reichsverteidigung
An den
Chef der Sicherheitspolizei und des SD
SS-Gruppenführer Heydrich
Berlin.
In Ergänzung der Ihnen bereits mit Erlass vom 24. 1. 39 übertragenen Aufgabe, die Judenfrage in Form der Auswanderung oder Evakuierung einer den Zeitverhältnissen entsprechend möglichst günstigen Lösung zuzuführen, beauftrage ich Sie hiermit, alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und materieller Hinsicht zu treffen für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflussgebiet in Europa.
Sofern hierbei die Zuständigkeiten anderer Zentralinstanzen berührt werden, sind diese zu beteiligen.»
Göring hält inne und schmunzelt. Den vorangehenden Absatz hat Eichmann eingefügt, um Rosenberg zufriedenzustellen. Auch Heydrich schmunzelt, kann aber seine Verachtung gegenüber den Regierungsbürokraten kaum verbergen. Göring liest weiter:
«Ich beauftrage Sie weiter, mir in Bälde einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen.»
Schweigend setzt Göring das Datum darunter und unterzeichnet das geschichtsträchtige Schriftstück – die Ermächtigung. Heydrich kann sich ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen. Es ist der 31. Juli 1941, die Geburtsstunde der Endlösung, und Heydrich ist ihr wesentlicher Urheber.
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Bei einem ersten Entwurf hatte ich in Bezug auf Göring geschrieben: «in eine blaue Uniform gezwängt». Ich weiß nicht, wieso, doch ich hatte eine blaue Uniform vor Augen. Es stimmt, dass Göring auf Fotos häufig in einer hellblauen Uniform zu sehen ist. Doch ob er eine solche auch an jenem Tag trug, weiß ich nicht. Sie hätte genauso gut weiß sein können.
Und ich weiß auch nicht, ob solche Art von Bedenken in diesem Stadium der Geschichte überhaupt noch angebracht sind.
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«Bad Kreuznach im August 1941: Zum zweiten Mal sind Deutsche Kriegsfechtmeisterschaften beendet. Die Reichssonderklasse, die zwölf Besten, sind angetreten und werden mit der goldenen bzw. silbernen Leistungsnadel des NSRL [Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen] ausgezeichnet. An fünfter Stelle steht in Reih und Glied ein SS-Obergruppenführer und General der Polizei. Es ist Reinhard Heydrich, der Chef der Sicherheitspolizei und des SD. Freudig nimmt er die Glückwünsche entgegen, und doch spricht aus seiner ganzen Haltung die Bescheidenheit des Siegers. Wer ihn kennt, weiß,
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