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müssen. Was die Prinz-Albrecht-Straße betrifft, wird er Müller vorwarnen, der sich gemeinsam mit Schellenberg um das RSHA kümmern wird. Wegen Heydrichs Privatwohnsitz wird er Lina gegenüber die Form wahren, aber alles durchwühlen müssen. Momentan bleibt ihm nur, abzuwarten: Solange Heydrich als vermisst gilt, gibt es für ihn nichts anderes zu tun. Er wird inzwischen schon einmal bei Lina vorbeigehen, um die Durchsuchung vorzubereiten, und die Männer an der Front anweisen, alles in Bewegung zu setzen, um Heydrich zu finden. Ihn oder seinen Leichnam.
Man kann sich zu Recht fragen, was der Chef des nationalsozialistischen Sicherheitsdienstes in einem deutschen Jagdflugzeug über sowjetischem Kampfgelände zu suchen hatte. Nun, es ist so, dass Heydrich neben seinem verantwortungsvollen Dienst bei der SS auch Reserveoffizier der Luftwaffe war. Als er den Krieg hatte kommen sehen, hatte er sich zum Jagdflugzeug-Piloten ausbilden lassen. Schon während des Polenfeldzugs wollte er unbedingt seiner Verpflichtung nachkommen. So prestigeträchtig sein Posten als Chef des SD auch war, genügte ihm die bürokratische Arbeit zu Kriegszeiten nicht mehr. Er wollte sich wie ein wahrer teutonischer Ritter auf dem Schlachtfeld beweisen. Zunächst durfte er als Bordschütze in einem Bomber mitfliegen. Doch sagte es ihm – wenig überraschend – nicht zu, die zweite Geige zu spielen. Lieber setzte er sich an den Steuerknüppel einer Messerschmitt 110, mit der Erkundungsflüge über Großbritannien ausgeführt wurden. Später flog er in erster Linie eine Messerschmitt 109 (das deutsche Äquivalent zur englischen Spitfire), in der er sich während des Norwegenfeldzugs bei einem missglückten Start den Arm verletzte. Ein Heydrich wohlgesinnter Biograph, dessen Werk ich mir besorgt habe, erzählt voller Bewunderung, wie Heydrich mit einem Arm in der Schlinge Manöver flog. Wie es scheint, beteiligte er sich an Angriffen auf die Royal Air Force.
Während dieser Zeit sorgte sich Himmler bereits wie ein Vater um ihn. Vor mir liegt ein Brief vom 15. Mai 1940, den er in seinem Sonderzug «Heinrich» (sic) verfasste. Darin bittet er den von ihm hochgeschätzten Heydrich, möglichst täglich von sich hören zu lassen. Der Brief enthüllt die Besorgnis des Vorgesetzten um seine rechte Hand. Heydrich war für Himmler ausgesprochen wertvoll.
Zwei Tage später wurde er von einer deutschen Patrouille aufgegriffen, von zweien seiner Männer der Einsatzgruppe D, die soeben fünfundvierzig Juden liquidiert und dreißig Geiseln genommen hatten. Offensichtlich war er von einer sowjetischen Flak getroffen worden und notgelandet, hatte sich für zwei Tage und Nächte versteckt gehalten und sich schließlich zu Fuß bis an die deutschen Linien durchgeschlagen. Dreckig und struppig kehrte er nach Hause zurück. Nach Angaben seiner Frau war er wegen seines Missgeschicks ordentlich entnervt, für das er trotz allem das bekam, worauf er es angelegt hatte: das Eiserne Kreuz erster Klasse, eine hohe militärische Auszeichnung. Doch nach seinem Absturz erhielt er trotzdem nie wieder die Erlaubnis, an Flugmanövern teilzunehmen, ganz gleich, an welcher Front. Wie es scheint, sprach sich Hitler, den die Geschichte von der Beresina nachhaltig erschüttert hatte, höchstpersönlich dagegen aus. Trotz seiner Anstrengungen und seiner unbestreitbaren Kühnheit konnte Heydrich keinen Sieg erringen. Und mit dieser dürftigen Bilanz endete seine Karriere als Pilot.
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Natacha liest das Kapitel, das ich gerade geschrieben habe. Beim zweiten Satz angekommen, ruft sie aus: «Wie bitte? ‹Ihm steigt das Blut in den Kopf, und er spürt, wie sein Gehirn in der Hirnschale anschwillt.› Das hast du dir ausgedacht!»
Schon seit Jahren gehe ich ihr mit meinen hehren Theorien über die kindische Unart der Romanausschmückung auf die Nerven. Diese Abneigung hat sich durch die Lektüre meiner Jugendzeit herausgebildet («Die Marquise verlässt ihr Anwesen um fünf Uhr» etc.). Daher ist es wahrscheinlich nur gerecht, dass Natacha mir die Geschichte des in der Hirnschale anschwellenden Gehirns nicht durchgehen lässt. Ich selbst glaubte mich fest entschlossen, diese Art Ausschmückung zu unterlassen, die letztlich nur die Intention verfolgt, einem Text den Anstrich eines Romans zu verleihen, was ziemlich grässlich ist. Und auch wenn ich über Hinweise zu Himmlers Reaktion und seine Entrüstung verfüge, kann ich nicht absolut sicher sein, welche Symptome seine
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