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Loyalität gegenüber dem Führer hinzu, hat man alle drei Zutaten für den perfekten Nationalsozialisten zusammen. Von seiner körperlichen Erscheinung als Sinnbild des perfekten Ariers einmal ganz zu schweigen. Himmler mag zwar sein «treuer Heinrich» sein, doch auf dieser Ebene kann er nicht mithalten. Es liegt daher nahe, dass Hitler Heydrich bewundert. Neben Stalin wäre er damit eine der wenigen noch lebenden Personen gewesen, dem diese Ehre zuteilwurde. Außerdem scheint es, als habe Hitler keine Angst vor Heydrich, was für einen Paranoiden wie ihn erstaunlich ist. Vielleicht wollte er zwischen Heydrich und Himmler Konkurrenzgefühle aufkeimen lassen. Vielleicht glaubte er, wie er seinem Reichsführer anvertraut hatte, dass die Akte über die angebliche jüdische Abstammung Heydrichs ein Garantieschein für dessen Ergebenheit darstellte. Oder vielleicht sah er in der blonden Bestie eine derart ideale Verkörperung des Nationalsozialisten, dass er ihm weder Verrat noch Abtrünnigkeit unterstellen mochte.
Sicher ist, dass er Bormann beauftragt haben muss, eine Krisensitzung im Führerhauptquartier «Wolfsschanze» bei Rastenburg zu organisieren. Herbeizitiert werden in aller Eile: Himmler, Heydrich, Neurath und dessen Staatssekretär Frank, der sudetendeutsche Buchhändler.
Frank trifft als Erster ein. Er ist ein großgewachsener Mann um die fünfzig mit Mafioso-Gesicht, das bereits von tiefen Falten durchzogen wird. Während des Essens legt er Hitler einen Bericht über die Situation im Protektorat vor, der in allen Punkten mit denen des SD übereinstimmt. Dann treten Himmler und Heydrich auf den Plan. Heydrich glänzt mit einem erstklassigen Lagebericht, in dem er Probleme aufzeigt und Lösungsvorschläge unterbreitet. Hitler ist zutiefst beeindruckt. Neurath wurde vom schlechten Wetter aufgehalten und kommt erst am Tag darauf an, als sein Schicksal bereits feststeht. Hitler verfährt mit ihm wie mit einem seiner Generäle, dem er das Kommando entziehen will: Zwangsurlaub aus Gesundheitsgründen. Die Stelle des Reichsprotektors ist soeben frei geworden.
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Am 27. September 1941 bringt die von den Deutschen kontrollierte tschechische Presse folgende Meldung:
«Der Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, Reichsminister Freiherr von Neurath, hielt es für notwendig, dem Führer vorzuschlagen, ihm einen längeren Urlaub zum Zweck der Wiederherstellung seiner angegriffenen Gesundheit zu gewähren. Da der gegenwärtige Kriegszustand den vollen Einsatz des Reichsprotektors verlangt, bat Herr von Neurath zugleich den Führer, ihn bis zur Genesung vorübergehend seines Amtes als Reichsprotektor zu entheben und einen Vertreter zu ernennen. Der Führer konnte unter diesen Umständen das Ansuchen des Reichsprotektors nicht ablehnen und betraute den SS-Obergruppenführer und General der Polizei Reinhard Heydrich für die Dauer der Erkrankung des Reichsministers von Neurath mit der Ausübung der Funktion eines stellvertretenden Reichsprotektors in Böhmen und Mähren.»
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Um den ihm zugedachten prestigeträchtigen Posten bekleiden zu dürfen, wurde Heydrich zunächst zum Obergruppenführer befördert, dem zweithöchsten Dienstgrad innerhalb der SS-Hierarchie, wenn man vom Posten des Reichsführers absieht, der Himmler vorbehalten ist. Übertroffen wird dieser nur noch vom Dienstgrad des Oberst-Gruppenführers, den im September 1941 aber noch niemand erreicht hat (bei Kriegsende werden sich lediglich vier Männer mit diesem Titel schmücken können).
Heydrich kostet diesen entscheidenden Zwischensieg in seinem unaufhaltsamen, wenn auch verschlungenen, Aufstieg aus. Er ruft seine Frau an, die von der Idee, nach Prag zu ziehen, scheinbar alles andere als begeistert ist (sie behauptet, protestiert und ihn gefragt zu haben, wieso er denn nicht «Postbote oder so etwas» geworden sei. Doch gleich im Anschluss legt sie eine tiefe Schicksalsergebenheit an den Tag, die nicht zu ihrem vorherigen Bedauern passt). Heydrich soll geantwortet haben: «Lina, Lina, beruhige dich. Ich habe endlich eine positive Aufgabe.» Er wolle etwas anderes sein als des «Deutschen Reiches Müllkipper». Des Deutschen Reiches Müllkipper! So also definiert er seine Aufgaben als Chef der Gestapo und des SD, die er trotz allem auch weiterhin mit äußerster Effizienz erfüllen wird.
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Heydrich trifft an dem Tag in Prag ein, an dem das tschechische Volk von seiner Ernennung erfährt. Am späten Vormittag oder am frühen Nachmittag landet
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