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ihnen oder auch nicht, und das war’s, oder zumindest beinahe. Alle anderen, so dachte ich, seien nur Phantome, die sich elegant in das Bühnenbild der Geschichte einfügen. Man muss sich auch um diese Phantome kümmern, was große Sorgfalt erfordert, das wusste ich. Was ich nicht wusste, obwohl ich es hätte ahnen müssen: Ein Phantom wird immer von dem Ziel getrieben, wieder lebendig zu werden. Von mir aus herzlich gerne, doch ich muss mich an die Erfordernisse meiner Geschichte halten, ich kann dieser unaufhörlich wachsenden Schattenarmee nicht den Platz einräumen, den ich ihr gerne gäbe. Diese Schattenmenschen verfolgen mich – vermutlich aus Rache für die mangelnde Aufmerksamkeit, die ich ihnen zuteilwerden lasse.
Doch das ist noch nicht alles.
Pardubice ist eine Stadt in Ostböhmen, die von der Elbe durchzogen wird. Die Einwohnerzahl beträgt etwa 90 000, es gibt einen hübschen Hauptplatz und prächtige Renaissancegebäude. Von dort stammt Dominik Hašek, der mythische Torhüter, einer der großartigsten Eishockeyspieler aller Zeiten.
Es gibt ein recht schickes Hotel-Restaurant namens Vaselka. Wie jeden Abend ist es gerammelt voll mit Deutschen. An den Tischen der Gestapo-Männer geht es geräuschvoll zu; sie haben gut gegessen und getrunken und rufen nach dem Kellner. Diensteifrig eilt der tadellos gekleidete Mann herbei. Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie sie Brandy bestellen. Der Kellner nimmt die Bestellung auf. Einer der Deutschen führt eine Zigarette zum Mund. Sofort holt der Kellner ein Feuerzeug hervor und gibt dem Deutschen mit einer leichten Verbeugung Feuer.
Der Kellner ist ausgesprochen hübsch. Er wurde erst vor kurzem eingestellt. Er ist jung, fröhlich, hat strahlende Augen, einen offenen Blick und markante, aber schön geschnittene Gesichtszüge. Hier in Pardubice hört er auf den Namen Mirek Šolc. Es gibt keinen offensichtlichen Grund, aus dem einem der Kellner verdächtig erscheinen sollte. Doch die Gestapo hält ihn trotzdem für verdächtig.
Eines schönen Morgens wird der Hotelbetreiber von der Gestapo vorgeladen. Man verlangt Informationen über Mirek Šolc: woher er kommt, mit wem er sich trifft, ob er sich ab und zu entfernt und wohin er dann geht. Der Hotelbetreiber antwortet, Šolc komme aus Ostrava, wo sein Vater ein Hotel leite. Die Polizeibeamten heben den Telefonhörer ab und rufen in Ostrava an. Dort hat noch nie jemand von einem Hotel namens Šolc gehört. Daraufhin bestellt die Gestapo von Pardubice den Betreiber des Vaselka erneut zu sich, diesmal soll Šolc mitkommen. Doch der Hotelbetreiber kommt allein. Er erklärt, er habe seinen Kellner entlassen, weil dieser Geschirr zerbrochen habe. Die Gestapo lässt ihn laufen, will ihn aber überwachen. Doch Mirek Šolc bleibt für immer verschwunden.
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Alle Fallschirmspringer, die im Protektorat eingesetzt werden, verwenden eine unüberschaubare Anzahl falscher Identitäten. Miroslav Šolc war eine davon. Demjenigen, der diese Identität benutzte, muss nun die Aufmerksamkeit gewidmet werden, die seiner Rolle in der Geschichte angemessen ist. Sein wahrer Name lautet Josef Valčík, und diesen Namen sollte man sich im Gegensatz zu Mirek Šolc merken. Valčík ist also der hübsche 27-jährige Mann, der in Pardubice als Kellner arbeitete. Jetzt ist er auf der Flucht und versucht, nach Mähren zu gelangen, um bei seinen Eltern Unterschlupf zu finden. Valčík ist wie Kubiš Mähre, doch das ist nicht ihr größter gemeinsamer Nenner. Unteroffizier Valčík war in der gleichen Halifax, aus der Gabčik und Kubiš in der Nacht vom 28. Dezember absprangen, gehörte aber einer anderen Gruppe an. Ihr Codename lautete «Silver A». Ihre Aufgabe bestand darin, mit einem Sender, Codename «Libuše», abgesetzt zu werden und den Kontakt zwischen London und A54, dem deutschen Superspion mit den unschätzbar wertvollen Informationen, wieder herzustellen – mit Morávek (mit k ) als Mittelsmann, dem letzten der Drei Könige und Chef des Widerstandsnetzwerks mit abgetrenntem Finger.
Offenbar funktionierte nichts wie vorgesehen. Valčík wurde während des Absprungs von den anderen getrennt und sah sich mit größten Schwierigkeiten konfrontiert, den Sender zu bergen: Nach dem Versuch, ihn auf einem Schlitten zu transportieren, gelangte er schließlich mit dem Taxi nach Pardubice, wo ihm vor Ort stationierte Agenten die Stelle als Kellner besorgten: eine exzellente Tarnung. Die Tatsache, dass der Ort von Deutschen
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