Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)
Rotlocke.
Oh, was für ein widerwärtiger Mensch! Er scheint es regelrecht zu genießen, Häme über Leute in schwierigen Lebenslagen zu gießen.
Ich werfe ihm einen verächtlichen Blick zu.
Sein gehässiger Kommentar bringt mich kein bisschen aus dem Konzept.
»Um was für einen Betrag geht es denn?«, frage ich ihn ruhig.
Er zieht süffisant die Augenbrauen in die Höhe.
Emma legt eine Hand auf meinen Arm.
»Zweihunderttausend«, sagt er.
Mein Kopf ist plötzlich ganz leer.
»Euro«, setzt Emmas Chef hinzu, als sei dies eine notwendige Erklärung für eine in der großen Finanzwelt so unerfahrene Person wie mich.
Emma!
Zweihunderttausend!
Was für ein Schuldenberg. Wie man sich täuschen kann. Ich dachte, sie würde in Geld schwimmen. Weil sie gut verdient.
»Iris.« Emma ist plötzlich wieder den Tränen nahe. »Es tut mir so leid, dass ich dir nicht erzählt habe, was los ist.«
»Unsere Emma legt schließlich nicht nur Wert auf eine luxuriöse Wohnung – natürlich gehört auch die passende Einrichtung dazu. Und ein passendes Auto. Kleidung. Reisen.« Emmas Chef sieht mich so verächtlich an, als hätte ich als beste Freundin erhebliche Mitschuld an Emmas Desaster. »Da war natürlich des Öfteren der ein oder andere Vorschuss vonnöten.«
Ich senke meinen Blick. Hätte ich Emma sagen müssen, wie befremdlich ich es finde, dass es für sie immer nur edel und teuer sein darf?
O Gott.
Das ist zu viel für einen Tag.
»Okay«, sage ich zu niemandem im Speziellen und hole tief Luft.
Dann haste ich aus der Küche und durch den Flur vorbei an Emmas Kater, der sich fauchend hinter die Garderobe flüchtet, in das Gästezimmer. Ich werfe die Tür hinter mir zu und bleibe mit klopfendem Herzen mitten im Raum stehen, der das bisschen zu Hause ist, was ich habe. Und das auch nur bis zum Monatsende.
Ich schließe die Augen und kämpfe kurz mit den Tränen.
Letzte Woche erst haben Niklas und ich uns unsere altmodischen Träume vom Häuschen mit Garten gestanden, während die anderen mit Kalbsnuss und Kürbissuppe beschäftigt waren.
Ein sehnsuchtsvoller Laut, fast ein Wimmern, steigt in mir empor.
Und nun habe ich nicht mal mehr eine feste Wohnung.
Plötzlich fühle ich mich nur noch erschöpft. Von diesem Tag. Und den ganzen Ausnahmezuständen in meinem Leben.
Samt Schuhen und Kleidung lasse ich mich aufs Bett fallen.
Ich schließe die Augen.
Was soll bloß aus Emma werden? Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie sie sich fühlen wird, wenn man ihr all den teuren Kram wegnimmt. Und auch nicht, was ich mache, wenn sie mir dann nicht mehr vor Tatkraft und Zuversicht strotzend zur Seite steht.
Ach, ich kann jetzt nicht weiter nachdenken.
Es ist einfach alles zu viel.
Ich will nur noch schlafen. Egal, dass es erst später Nachmittag ist. Ich fühle mich so ausgelaugt, als sei ich seit Tagen wach.
Bevor ich mich meiner überwältigenden Müdigkeit hingebe, klammere ich mich noch schnell an das eine Fünkchen Hoffnung, das mir bleibt.
Die glückliche Fügung, dass Niklas in mein Leben getreten ist.
Neunzehntes Kapitel
M eine Körperpflege am nächsten Morgen fällt knapp aus – trotz der verlockenden Sammlung von Emmas Edelduschgels und Lotionen. Auch mein Make-up halte ich minimal. So habe ich Niklas ohnehin am besten gefallen. Die köstliche Tasse Kaffee aus Emmas Schweizer Spitzenmaschine verkneife ich mir lieber.
Alles nur, um die Wohnung zu verlassen, bevor sie aufwacht.
Ich bin einfach nicht in der Lage, mich gleich zum Start in den Tag mit der extra großen Finanzmisere meiner besten Freundin zu befassen. Da Emma mir ihre tollkühnen Geldabenteuer schon seit Jahren verheimlicht, reicht es sicher, wenn ich am Abend anfange, Anteil zu nehmen.
Ich muss erst mal selber auftanken.
Und zwar bei einem guten Gespräch mit Niklas.
Während ich zur Straßenbahn eile und rasch einsteige, erinnere ich mich wohlig, wie unglaublich schnell und einfühlsam er meine Gemütsverfassung bei unsrer ersten Begegnung erkannt hat. Und wie er mir dann tröstend die Hand auf den Arm gelegt hat. Oh, wie gut das tat …
Netterweise scheint die Frühlingssonne schön warm herein und taucht das Straßenbahnabteil in helles, freundliches Licht. Vielleicht können Niklas und ich draußen Kaffee trinken. Genau. Und womöglich noch einen Spaziergang im Park anschließen. Ja.
Tapfer lächle ich ein paar Augenblicke lang und nicke entschlossen. Bestimmt. Nach meinem Treffen mit Niklas werde ich mich besser fühlen.
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