High Fidelity (German Edition)
ich. Wir passen ziemlich gut zusammen, Rob, und wenn es nur deswegen ist, weil wir schon eine ganze Weile zusammen sind. Und ich will nicht alles hinschmeißen und von vorne anfangen, es sei denn, es geht wirklich nicht mehr. So.«
Und warum war ich bei der Stange geblieben? Nicht aus ähnlich edlen und reifen Beweggründen. (Gibt es etwas Reiferes, als an einer bröckelnden Beziehung festzuhalten in der Hoffnung, alles wieder hinzubiegen? Ich habe so etwas noch nie getan.) Ich blieb, weil ich mich just gegen Ende der Rosie-Geschichte wieder zu Laura hingezogen fühlte. Es schien, als hätte ich Rosie gebraucht, um Laura ein wenig aufzupeppen. Und ich glaubte, ich hätte alles vermasselt (ich wußte nicht, daß sie damals gerade mit Stoizismus experimentierte). Ich konnte sehen, wie ich ihr gleichgültig wurde, also gab ich mir irre Mühe, ihr Interesse wieder zu wecken, und als ich das geschafft hatte, wurde sie mir wieder völlig gleichgültig. Ich muß feststellen, daß mir so etwas ziemlich oft passiert. Ich komme damit nicht klar. Und das bringt uns mehr oder weniger in die Gegenwart. Wenn man die ganze traurige Geschichte so als einzigen großen schmutzigen Klumpen vor sich liegen hat, muß selbst der kurzsichtigste Idiot, selbst ein komplett der Selbsttäuschung und dem Selbstmitleid verfallener, verlassener, verletzter Liebhaber erkennen, daß es hier einen Ursache-Wirkung-Zusammenhang gibt, daß Abtreibung und Rosie und Ian und Geld zusammengehören, einander verdienen.
Dick und Barry fragen uns, ob wir auf ein schnelles Bier mit in den Pub kommen wollen, aber man kann sich nur schwer vorstellen, wie wir alle an einem Tisch sitzen und über den Kunden lachen, der Albert King mit Albert Collins verwechselt hat (»Er hat es nicht mal gerafft, als er sich die Platte auf Kratzer anguckte und das Stax-Label sah«, erzählte uns Barry und schüttelte dabei den Kopf über diese ungeahnten Abgründe menschlicher Ignoranz), und ich lehne höflich ab. Ich nehme an, daß wir nach Hause in die Wohnung wollen, also will ich in Richtung Bushaltestelle, aber Laura zieht mich am Arm und sieht sich nach einem Taxi um.
»Ich zahle. Im Neunundzwanziger würde es nicht besonders lustig, oder?«
Auch wahr. Die Unterredung, die wir führen müssen, fällt einem leichter ohne Schaffner – und ohne Hunde, Kinder und fette Leute mit riesigen John-Lewis-Taschen.
Im Taxi sind wir ziemlich schweigsam. Es dauert nur zehn Minuten von der Seven Sisters Road bis Crouch End, aber die Fahrt ist so ungemütlich, ernst und unglückselig, daß ich das Gefühl habe, mich bis an mein Lebensende daran erinnern zu müssen. Es regnet, und die Neonlichter werfen Muster auf unsere Gesichter. Der Taxifahrer fragt uns, ob wir einen schönen Tag gehabt haben, wir stöhnen auf, und er schließt mit einem Knall die Trennscheibe. Laura starrt aus dem Fenster, und ich schiele gelegentlich zu ihr hin, um zu sehen, ob die letzte Woche irgendwelche Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen hat. Sie hat sich die Haare schneiden lassen, der gleiche Schnitt wie üblich, sehr kurz, wie in den Sechzigern, wie Twiggy oder Mia Farrow, außer – und damit will ich nicht einfach schleimen –, daß ihr dieser Schnitt besser steht als den beiden. Weil ihr Haar so dunkel, fast schwarz ist, beherrschen ihre Augen, wenn sie es kurzgeschnitten trägt, ihr gesamtes Gesicht. Sie trägt kein Make-up, und ich schätze, meinetwegen. Es ist ein einfacher Weg, mir zu zeigen, daß sie vom Gram gezeichnet, bedrückt und zu unglücklich für Kinkerlitzchen ist. Hier läßt sich eine hübsche Symmetrie feststellen: Als ich ihr vor all diesen Jahren das Tape mit dem Solomon-Burke-Song gab, trug sie das Make-up zentimeterdick, viel mehr, als sie normalerweise trug, und viel mehr als in der Woche zuvor, und ich wußte oder hoffte, daß auch das meinetwegen geschah. Am Anfang bekommt man es also überreichlich, zum Zeichen dafür, daß alles gut, positiv, aufregend ist, und am Ende rein gar nichts, zum Zeichen dafür, daß alles hoffnungslos ist. Clever, was?
Aber später, gerade als wir in meine Straße einbiegen und ich angesichts der qualvollen Schwierigkeit der bevorstehenden Unterredung in Panik geraten will, sehe ich eine einzelne Frau, aufgetakelt für den Samstagabend, unterwegs, um irgendwo irgendwen zu treffen, Freunde oder einen Liebhaber. Und als ich mit Laura zusammenlebte, vermißte ich … was? Vielleicht vermißte ich jemanden, der mit dem Bus, der U-Bahn oder dem Taxi
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