High Fidelity (German Edition)
bedeutungsloses Klischee: Der Mann, der tut, als ginge ihm alles am Arsch vorbei, der sitzengelassen wird und vielleicht ein paar Abende lang allein im Pub hockt und dann weiterlebt wie vorher, und selbst wenn er beim nächsten Mal noch mißtrauischer ist, als er immer schon war, hat er sich doch nicht zum Affen gemacht oder irgendwen geängstigt, und diese Woche habe ich beides getan. Am einen Tag ist Laura noch traurig und schuldbewußt, am nächsten Tag ist sie verängstigt und wütend, und ich ganz allein bin für diese Verwandlung verantwortlich, mir selbst habe ich damit keinen Gefallen getan. Ich würde damit aufhören, wenn ich könnte, aber anscheinend bleibt mir in dieser Sache keine Wahl: Ich denke an nichts anderes, unentwegt. »Ich weiß, wie du bist«, hat Laura gesagt, und irgendwie tut sie das auch: Sie weiß, daß ich jemand bin, dem nichts viel Kopfzerbrechen macht, der Freunde hat, die er seit Jahren nicht gesehen hat, der mit niemandem mehr spricht, mit dem er je geschlafen hat. Aber sie weiß nicht, wie hart man daran arbeiten muß.
Ich will sie jetzt wiedersehen: Alison Ashworth, die mich nach drei trostlosen Abenden im Park sitzengelassen hat. Penny, die sich von mir nicht mal anfassen ließ und dann direkt hinging und Sex mit dem Sausack Chris Thomson hatte. Jackie, nur attraktiv, solange sie mit meinem besten Freund ging. Sarah, mit der ich eine Allianz gegen alle Sitzenlasser der Welt gebildet hatte, und die dann hinging und mich trotzdem sitzenließ. Und Charlie. Besonders Charlie, denn ihr verdanke ich alles: meinen großartigen Job, mein sexuelles Selbstvertrauen, das ganze Drum und Dran. Ich möchte ein abgerundetes menschliches Wesen sein, ohne diese knotigen Beulen von Wut und Schuld und Selbstekel. Was werde ich machen, wenn ich sie alle sehe? Ich weiß nicht. Einfach reden. Sie fragen, wie es ihnen geht und ob sie mir verziehen haben, daß ich mit ihnen unfein umgesprungen bin, wenn ich unfein mit ihnen umgesprungen bin, und ihnen erklären, daß ich ihnen verziehen habe, daß sie unfein mit mir umgesprungen sind, wenn sie mit mir unfein umgesprungen sind. Wäre das nicht klasse? Wenn ich sie alle der Reihe nach sähe und es gäbe keine verletzten Gefühle mehr, nur sanfte, flaumweiche Gefühle, mehr Brie als alten, harten Parmesan, würde ich mich sauber fühlen, und gelassen, und bereit, von vorne anzufangen.
Bruce Springsteen macht das immer in seinen Songs. Vielleicht nicht immer, aber er hat es schon gemacht. Kennt Ihr dieses »Bobby Jean« von Born In The USA? Egal, er ruft dieses Mädchen an, aber sie ist schon vor Jahren aus der Stadt weggezogen, und er ist sauer, weil er nichts davon wußte, denn er wollte ihr auf Wiedersehen sagen und ihr sagen, daß er sie vermißt habe, und ihr alles Gute wünschen. Und dann setzt eins dieser Saxsoli ein, und man kriegt die Gänsehaut, wenn man auf Saxsoli steht. Und auf Bruce Springsteen. Tja, ich hätt's gerne, wenn mein Leben wie ein Bruce-Springsteen-Song wäre. Nur einmal. Ich weiß, ich bin nicht als Gehetzter geboren, ich weiß, daß die Seven Sisters Road nicht die Thunder Road ist, aber so verschieden können Gefühle nicht sein, oder? Ich würde diese ganzen Menschen gerne anrufen und alles Gute und auf Wiedersehen sagen, und danach ginge es ihnen gut und mir ginge es gut. Uns allen ginge es gut. Das wäre … na ja, eben gut.
I ch werde Anna vorgestellt. Dick bringt sie an einem Abend in den Pub mit, an dem Barry nicht dabei ist. Sie ist klein, schweigsam, höflich, überfreundlich, und Dick betet sie offensichtlich an. Er wünscht meine Billigung, die kann er gerne haben, aus vollem Herzen. Was hätte ich davon, wenn Dick unglücklich ist? Nichts. Ich wünsche ihm alles Glück der Welt. Ich wünsche ihm, daß er uns anderen zeigt, daß es möglich ist, eine Beziehung und eine große Plattensammlung gleichzeitig zu verwalten.
»Hat sie eine Freundin für mich?« frage ich Dick.
Normalerweise würde ich von Anna natürlich nicht in der dritten Person sprechen, solange sie neben uns sitzt, aber ich bin entschuldigt: Meine Frage ist Billigung und Anspielung zugleich, und Dick lächelt glücklich verstehend.
»Richard Thompson«, erklärt er Anna. »Das ist ein Song von einem Richard-Thompson-Album. ›I Want To See The Bright Lights Tonight‹, oder Rob?«
»Richard Thompson«, wiederholt Anna mit einer Stimme, der man anhört, daß sie in den letzten Tagen sehr rasch sehr viele Informationen hat verarbeiten müssen.
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