High Fidelity (German Edition)
die Mühe, rauszufinden, worin er besteht?«
Das Entsetzliche daran ist, daß ich ihn natürlich längst kenne, daß ich komplizierte und dezidierte Ansichten zu dem Thema habe. Aber wenn ich von BK Flamers contra Royal mit Käse anfange, hätten wir beide den Eindruck, daß ich irgendwie ihr Argument bestätigen würde, und darum lasse ich es.
Aber der Streit geht weiter, biegt mehrmals ab, überquert eine Straße, macht kehrt und landet schließlich irgendwo, wo wir beide noch nie gewesen sind – jedenfalls nicht nüchtern und am hellichten Tag.
»Früher hat dir mehr an Dingen wie Solomon Burke gelegen«, sage ich. »Als ich dich kennenlernte und dir die Kassette aufgenommen habe, warst du wirklich hingerissen. Du hast gesagt – ich zitiere – ›es wäre so gut, daß du dich für deine Plattensammlung schämen müßtest‹.«
»Schamlos, was?«
»Was soll das heißen?«
»Na ja, du hast mir gefallen. Du warst DJ, und ich fand dich spitze, und ich hatte keinen Freund, und ich wollte einen.«
»Also hast du dich kein bißchen für die Musik interessiert?«
»Ja, doch. Ein bißchen. Und mehr als heute. So ist das Leben, oder?«
»Aber verstehst du nicht … das ist alles, woraus ich bestehe. Wenn dich das nicht mehr interessiert, interessiert dich nichts mehr. Was sollen wir dann noch zusammen?«
»Glaubst du das wirklich?«
»Ja. Sieh mich an. Sieh dir die Wohnung an. Was hat sie sonst, außer Platten und CDs?«
»Und gefällt sie dir so?«
Ich zucke die Achseln. »Eigentlich nicht.«
» Das sollen wir noch zusammen. Du hast Potential. Ich bin da, um es zum Vorschein zu bringen.«
»Potential zu was?«
»Zum menschlichen Wesen. Du bringst alle Grundvoraussetzungen mit. Du bringst Leute zum Lachen, wenn du dir die Mühe machst, und du bist nett, und wenn du dich entschließt, jemanden zu mögen, fühlt sich dieser Mensch wie der Mittelpunkt des Universums, und das ist ein ziemlich sexy Gefühl. Nur daß du dich meistens absolut nicht darum scherst.«
»Nein«, ist alles, was mir darauf einfällt.
»Du … tust eben nur nichts. Du bist in deinem eigenen Kopf gefangen, anstatt was in Gang zu bringen, sitzt du rum und denkst, und die meiste Zeit denkst du Unsinn. Du verpaßt immer das, was wirklich abgeht.«
»Das ist der zweite Simply-Red-Song auf dieser Kassette. Einer ist unverzeihlich. Zwei sind ein Kriegsverbrechen. Kann ich vorspulen?« Ich spule vor, ohne eine Antwort abzuwarten. Ich lande in irgendeinem gräßlichen Post-Motown-Ding von Diana Ross und stöhne auf. Laura hämmert weiter auf mich ein.
»Kennst du diesen Ausdruck, ›Mehr Zeit, als gut für ihn ist?‹ Das bist du.«
»Womit soll ich mich also beschäftigen?«
»Ich weiß nicht. Irgendwas. Arbeiten. Leute treffen. Pfadfinderführer werden, oder vielleicht sogar einen Club aufmachen. Etwas mehr als darauf zu warten, daß sich dein Leben ändert und dir alle Chancen offenzuhalten. Du würdest dir für den Rest deines Lebens alle Chancen offenhalten, wenn du könntest. Du würdest noch auf dem Totenbett liegen, an irgendeiner Raucherkrankheit dahinsiechend und denken, wenigstens habe ich mir alle Chancen offengehalten. Wenigstens habe ich mich nie auf was eingelassen, wo ich mich nicht wieder rauswinden konnte. Und die ganze Zeit, während du denkst, du hältst dir deine Chancen offen, verbaust du sie dir eigentlich. Du bist sechsunddreißig und hast keine Kinder. Wann willst du also welche haben? Wenn du vierzig bist? Fünfzig? Nimm mal an, du willst sie mit vierzig, und dein Kind will keine Kinder, bis es selbst sechsunddreißig ist. Das hieße, du müßtest wesentlich länger als deine zugeteilten dreimal zwanzig plus zehn Jahre leben, um wenigstens noch einen kurzen Blick auf dein Enkelkind werfen zu dürfen. Warum bringst du dich also um so was?«
»Darauf läuft das also alles raus.«
»Auf was?«
»Kinder kriegen oder es ist aus. Die älteste Drohung der Welt.«
»Leck mich am Arsch, Rob. Das ist nicht das, was ich dir sagen will. Es ist mir egal, ob du Kinder willst oder nicht. Ich möchte welche, das weiß ich, aber ich weiß nicht, ob ich sie mit dir haben will, und ich weiß nicht, ob du überhaupt welche willst. Damit muß ich selbst klarkommen. Ich versuche nur, dich wachzurütteln. Ich versuche dir zu zeigen, daß dein halbes Leben hinter dir liegt, und nach allem, was du vorzuweisen hast, könnte man dich für neunzehn halten, und ich spreche nicht mal von Geld oder Besitz oder Möbeln.«
Ich weiß, daß
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