High Heels und Gummistiefel
nach ein paar Sekunden die
Augen wieder auf und sah, dass der Raum in Finsternis getaucht war, abgesehen vom Schein eines einzigen starken Spotlights. Dieses warf sternenweißes Licht auf das Abendkleid, das Anouk auf einer der Stahlrohr-Schaufensterpuppen aus ihrer Boutique drapiert hatte. Daisy schnappte vor Staunen leise nach Luft und ging langsam um das Kleid herum, betrachtete das trägerlose Mieder, den zur Hälfte freiliegenden Mini-Reifrock, die wallende Kaskade aus Stoff, die hinten in einer bodenlangen Schleppe auslief. Sie streckte den Arm aus und berührte das Kleid. Es war aus Organza, in einem himmlischen Schmutzigpink und mit unregelmäßig angeordneten Rosen in anderen, ganz leicht dunkleren Rosatönen verziert.
»Das ist von diesem fantastischen jungen französischen Designer, den ich neulich entdeckt habe«, erklärte Anouk, erfreut über Daisys Reaktion. »Er hat wirklich eine Vision. Verstehst du, er wollte nicht, dass die Seidenblumen zu vollkommen aussehen, deshalb ist er damit auf die Straße gegangen und hat darauf herumgetrampelt, bevor er sie angenäht hat«, fuhr sie fort und faltete hingerissen die Hände. »Er sagt, das, was er macht, ist ›Anti-Couture‹-Couture. Ah, quel talent! Das hier ist nur ein Musterstück, aber ich habe beschlossen, seine Kollektion zu unterstützen. Ich glaube, er wird es weit bringen...«
»Es ist einfach wunderschön«, stieß Daisy hervor. »Darf ich...«
»Es anprobieren? Aber natürlich, mon petit«, antwortete Anouk, zog das Kleid rasch von der Puppe und reichte es Daisy. »Geh in mein Schlafzimmer – da ist ein großer Spiegel. Ich bringe dir auch noch ein Paar Schuhe.«
Anouk half ihr in ein Paar zierliche silberne Stilettos hinein und richtete sich dann auf, um den Anblick als Ganzes auf sich wirken zu lassen.
»Ah, oui, magnifique«, befand sie und umarmte Daisy. »Die Ballkönigin.«
Daisy stand da und betrachtete ihr Spiegelbild; in ihr Entzücken mischte sich ganz leise Melancholie.
»Und dein Haar, das steckst du hoch, ja?«, wies Anouk sie an. »Aber lass es ein bisschen durcheinander aussehen, ein bisschen Rock’n’ Roll. Wenn du willst, mache ich es dir zurecht.« Sie wandte sich von Daisy ab, um nach Haarnadeln zu suchen, und fügte hinzu: »Weißt du, mon petit, es ist überhaupt nichts dabei, ohne copain auf ein Fest zu gehen. Bestimmt hast du mit deinen Londoner Freunden einen wunderbaren Abend.«
»Oh ja!«, beteuerte Daisy vergnügter, als ihr zumute war. »Natürlich.«
»Hast du in letzter Zeit mal mit Raoul gesprochen?«
»Ehrlich gesagt, er hat etwas unheimlich Nettes getan«, berichtete Daisy, und ein Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. »Er hat so eine Mappe vorbeigebracht, voll mit Zeichnungen, die er von mir gemacht hat. Hat sie mir einfach vor die Tür gelegt, als Überraschung.«
Als sie die Mappe geöffnet hatte, die den Titel Die Ballade der Daisy K. trug, hatte Daisy darin eine Serie sehr hübscher Pastell-Cartoons im Stil der 50er Jahre vorgefunden. Sie hielten ihre Zeit in Paris fest; die Bilder zeigten sie, wie sie vor einem Café saß und die Vogue las, wie sie mit einem winzigen Pudel an der Leine die Straße hinunterging, wie sie aus der Dior-Boutique trat, dicht gefolgt von Raoul (sehr notdürftig als Page getarnt) mit einem schwankenden Riesenstapel bändergeschmückter Schachteln. Auf der letzten Zeichnung stand sie auf Zehenspitzen auf dem Eiffelturm, die Arme ausgestreckt wie eine Ballerina.
»Raoul, ich finde, die sind fantastisch«, hatte sie gesagt, als sie ihn später angerufen hatte, um ihm zu danken. »Die Klamotten sind wirklich alle ganz toll – sehr Bardot-mäßig. Aber was wird dein Verleger sagen?«
»Wie meinst du das, Süße?«
»Was ist aus dem Elvis-Bumsen geworden?«
Lachend hatte Raoul ihr erklärt, dass er es sich anders überlegt hätte, was das anginge, und hatte hinzugefügt, dass die Zeichnungen ohnehin nicht zur Veröffentlichung gedacht seien, sondern dass sie sie behalten solle, als Souvenir.
»Ah, un vrai Gentleman«, stellte Anuok fest und nickte.
»Na, ich weiß nicht. Das Beste hast du noch gar nicht gehört. Weil, danach hat er gesagt, so ganz zärtlich und schwermütig« – Daisy grinste und legte ein erotisch-gallisches Grollen in ihre Stimme -, ›»Ach, ich werde bis ans Ende der Welt ziehen müssen, um dich zu vergessen, Baby.‹ Und dann erzählt er mir, dass er für ein paar Monate nach Brasilien fährt, ans Meer! Ist das zu fassen? So ein
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