High Heels und Gummistiefel
drückte seine Zigarettenkippe mehrmals in seinem Stück Zwiebeltarte aus.
»Genau das wollen die Großkonzerne uns glauben machen«, entgegnete Ivy mit extremem Ernst. »Eigentlich ist das bloß eine Riesenlüge.«
»Wir sind alle Gäas Kinder«, verkündete Belladonna. »An ihrer Pflanzenfülle dürfen wir uns gütlich tun, aber wir dürfen keine anderen Lebewesen töten. Das ist furchtbares Karma.«
»Ich glaube, das ist eine Frage des persönlichen Geschmacks...«, setzte Isabelle an.
Clothaire fuhr zu ihr herum. »Et l’autre emmerdeuse qui s’y met! Niemand hat dich nach deiner Meinung gefragt, Isabelle. Halt einfach den Mund, wenn ich rede, okay?«, donnerte er.
Isabelle hielt den Mund. Clothaire zündete sich abermals eine Zigarette an, vermutlich sammelte er seine Gedanken zum Thema korrekte Ernährungsweise. Niemand sonst sagte etwas. Nach einem Augenblick der Stille blickte Isabelle sich verwirrt am Tisch um. Jäh wurde ihr bewusst, dass, wäre dergleichen in Paris vorgefallen, irgendein anderer Gast – meistens ihre liebe Agathe – das Ganze mit einem Lachen abgetan und Clothaire auf nachsichtige Weise zurechtgewiesen hätte, so dass seine Ausbrüche Isabelle nie etwas ausmachten.
Heute Abend hingegen starrten die anderen Gäste Clothaire alle mit offenem Mund an. Alle außer Tom Quince, der Isabelle unverwandt ansah, mit einem seltsamen Gesichtsausdruck, fast wie Zorn. Sie errötete heftig.
»Mir ist gerade etwas absolut Fantastisches eingefallen«, verkündete Chrissie nicht einen Augenblick zu früh. »Ju-Ju, warum holst
du nicht dein Ouija-Brett, und wir halten eine kleine Halloween-Seance ab?«
Diese Worte brachen den entsetzten Bann rund um den Tisch. Jules ging in ihr Zimmer hinauf, um das Brett mit den Buchstaben zu holen. Während Legend, Karloff und Ivy den Tisch abräumten, schlüpfte Isabelle in den Garten hinaus. Es war eine klare, mondhelle Nacht. Vorhin hatten Jules und Chrissie Laub auf dem Rasen verbrannt, und der Aschehaufen rauchte noch immer. Isabelle ging zu der Bank hinüber und setzte sich. Kurz darauf hörte sie, wie sich die Tür zur Küche öffnete. Sie wandte den Kopf nicht; sie wusste sehr gut, dass es Clothaire war, wahrscheinlich mit der nächsten Zigarette.
»Alles in Ordnung, Isabelle?«
Isabelle blickte auf und sah Merediths Großneffen neben der Bank stehen. Sie zuckte ein wenig zusammen und blickte starr geradeaus.
»Ja, natürlich, alles bestens«, antwortete sie steif.
»Ich dachte, vielleicht...«
»Was?«, fragte sie und begann zu frösteln.
»Wie dumm von mir. Hier, warten Sie.« Ein eiliges Rascheln war
zu hören, und dann fühlte Isabelle, wie sie etwas Warmes umhüllte – sein Jackett. Er setzte sich neben sie.
»Vielen Dank«, sagte sie mit einem sehr viel dünneren Stimmchen, als sie es vorgehabt hatte.
Sie saßen eine Weile schweigend da. Tom Quince legte den Kopf in den Nacken und schaute zum Himmel empor. Dann wandte er sich zu ihr um. »Was wollten Sie mich übrigens fragen? Wegen Meredith?«
»Ach ja«, sagte Isabelle, sehr erleichtert über den Themenwechsel. »Neulich habe ich mir bei Lucy Merediths Porträt angesehen und... Ist Ihnen aufgefallen, dass da...?«
Von der Küchentür her ertönte ein Schrei. »Ju-hu! Isabelle?« Und dann dieselbe Stimme, aber eine Oktave tiefer. »Tom? Wo seid ihr?«
Belladonna kam über den Rasen, hielt mit der einen Hand den Rocksaum ihres Kleides hoch und winkte mit der anderen. »Kommt schon, wir müssen uns alle für die Seance versammeln.«
Sie gingen zurück ins Haus. Die meisten Gäste saßen um den Tisch herum, betrachteten das Ouija-Brett und plapperten aufgeregt durcheinander. Clothaire lehnte abseits von den anderen an der Anrichte. Als er Isabelle sah, kam er zu ihr, legte den Arm um sie und drückte kurz ihren Nacken. Sie lächelte ihn an und streifte automatisch Tom Quinces Jackett ab, das sie seinem Besitzer zurückreichte. Alle setzten sich, außer Clothaire, der nach oben ging, um fernzusehen.
Die Geister – unterstützt durch Isabelle und, deutlich weniger diskret, durch Chrissie – legten großen Elan an den Tag. Sie verrieten Jules, dass »J-E-M-A-N-D-D-E-R-G-R-O-S-S-U-N-D-D-U-N-K-E-L-H-A-A-R-I-G-I-S-T« sich insgeheim nach ihr verzehrte, und Karloff, dass es seine Bestimmung sei, die »L-I-E-B-E-D-E-R-K-Ö-N-I-G-I-N« zu erringen.
»Die Queen?«, wunderte sich Karloff.
»Na, natürlich nicht die Queen«, antwortete Legend sinnend. »Abgesehen von allem anderen ist sie
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