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Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Titel: Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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an einem Hirschkadaver gütlich. Immer wieder knurrten sie und bleckten ihre schimmernden Fangzähne, um Respekt für ihren Rang einzufordern. Eines der Tiere musste sie gewittert haben, denn es wandte ihnen den Kopf zu und stieß ein langes, warnendes Grollen aus. Niemand rührte sich. Alexander war fasziniert und konnte den Blick nicht von dem Schauspiel losreißen. Wölfe griffen für gewöhnlich keine Menschen an; sie flohen sogar vor ihnen. Doch der, der sie ansah, kam kühn auf sie zu, um ihnen die Stirn zu bieten. Man legte die geladenen Gewehre an, bereit, im Fall eines Angriffs zu schießen.
    Alexander war, als käme das Tier auf ihn zu. Der Wolf, der jetzt nur noch ein paar Fuß von ihnen entfernt war, blieb erneut stehen. Er hätte ihm von einer Sekunde auf die andere mit einem einzigen Satz an die Kehle springen können. Doch er sah ihn nur aus seinen glühenden Augen an, und sein langes Fell wogte sanft in der Brise. Alexander war wie gebannt. Gerade als er glaubte, jetzt müsse der unausweichliche Angriff kommen, geschah das Unerwartete: Das Tier krümmte den Rücken und lief mit eingezogenem Schwanz zu seinem Rudel zurück. Drei Minuten später lag nur noch der zurückgelassene Kadaver im Wasser. Die Wölfe waren fort.
    Die Männer standen noch eine Weile schweigend da. Dann kam leises Stimmengewirr auf. Alexander spürte, wie eine Hand sich auf seine Schulter legte; der Befehl zum Weitergehen. Als er sich umdrehte, begegnete er Niyakwais Blick, der ihn mit einem eigenartigen Ausdruck ansah. Der Indianer wies ihn mit einer Kopfbewegung an, welche Richtung er einzuschlagen hatte, ohne an seinen Sklavenfesseln zu zerren. Auch während des Rests ihrer Reise sollte er sich respektvoller verhalten.
     
    Seit zwei Tagen fiel eiskalter Regen, durchnässte sie bis auf die Knochen und ließ die Kanus volllaufen, die sie in regelmäßigen Abständen ausschöpfen mussten. Seit einer Woche überzog der November die Appalachen mit allen Graunuancen von Perlgrau bis Anthrazit. Die kahlen Wälder, mit denen sie bewachsen waren, ließen sie aussehen wie seltsame Schädel, auf denen stoppliges Haar wuchs. Diese Berge bildeten die Grenze zwischen den englischen Kolonialgebieten und den Territorien, die man den eingeborenen Völkern Amerikas überließ.
    Alexander hatte eine Halsentzündung und heftigen Husten. Er zitterte vor Kälte und Fieber, aber auch vor Angst. Obwohl die Irokesen ihn seit der Begegnung mit den Wölfen ein wenig besser behandelten, gefielen ihm Wemikwanits Haltung und sein Schweigen nicht. Er hatte eine vage Vorstellung von dem, was ihn erwartete, und konnte nicht umhin, sich die schlimmsten Martern vorzustellen, deren man ihn unterziehen würde. Seine Widerstandskraft erlahmte, genau wie der Verstand des Revenant. Sein Freund schlief fast nicht mehr. Und wenn er ein wenig Ruhe fand, wachte er schreiend auf, gequält von seinen grauenhaften Erinnerungen.
    Alexander erwog die Möglichkeit, den Schatz gegen ihrer beider Freiheit einzutauschen. Welche Bedeutung hatte es nach dem Tod des Hollandais’ noch, in welche Hände das Gold fiel? Doch leider würde es ihnen nicht unbedingt das Leben retten, wenn sie alles gestanden. Dazu wussten sie zu viel, viel zu viel…
    Um sich zu trösten, dachte der Schotte an Mikwanikwe und die kleine Otemin. Es kam ihm merkwürdig vor, dass die schöne Ojibwa-Frau eine solche Rolle für ihn spielte, obwohl er nur zwei leidenschaftliche Nächte mit ihr verbracht hatte. Aber die Erinnerung war angenehm, und darauf kam es an.
    Die Männer hatten die Boote am Ufer einen Flusses zurückgelassen. Er mündete in einen langgestreckten See, der vage an die schottischen Lochs erinnerte, den Seneca-See. Zwei Krieger übernahmen auf dem Pfad die Spitze. Sie stießen gellende Rufe aus und gaben Gewehrschüsse ab, um die Rückkehr der Gruppe anzukündigen. Endlich kam das von einer hohen Palisade aus angespitzten Pfählen umgebene Dorf in Sicht, das auf dem Gipfel eines gerodeten Hügels lag. Ein Netz von Wegen durchzog das offene Gelände, auf dem Nahrungsmittel angebaut wurden, und verlor sich dann in den tiefen Kiefernwäldern.
    »Das ist Ganundasaga«, erklärte Wemikwanit Alexander, »das Dorf des großen Tsonnontouan 34 -Häuptlings vom Clan der Marter, Gayengwatha. Er hat sich uns angeschlossen und seine Krieger zum Portage-Pfad von Niagara geführt, wo wir einen englischen Konvoi massakriert haben. Also erwarte von ihm kein Mitgefühl! Er ist ein furchteinflößender Feind

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