Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
überscharfer Klarheit und Wahnsinn hin- und hergerissen zu werden. Er sah, wie eine Frau die teilweise verbrannten Geschlechtsteile seines Kameraden ergriff. Lachend betastete sie sie und gab Bemerkungen ab, worauf die anderen Indianerinnen in Kichern ausbrachen. Dann schnitt sie sie mit einem Messer ab. Le Revenant verdrehte die Augen, wurde von einem heftigen Krampf ergriffen und sackte dann leblos zusammen.
Alexander schloss die Augen und betete, der Tod möge seinen Freund holen, als sich abrupt eine Hand um seine eigenen Hoden legte und sie grob knetete. Er stöhnte vor Schmerz und wand sich, um loszukommen. Schließlich und gegen alle Erwartung wurde die Hand zurückgezogen. Jemand durchtrennte seine Fesseln, und er stürzte schwer auf die Bretter der Plattform.
Er hörte streitende Stimmen: Um ihn herum fand eine heftige Auseinandersetzung statt. Jemand wälzte ihn ohne viel Umstände auf den Rücken, und er stieß einen Schrei aus. Er öffnete ein zugeschwollenes Auge und erblickte direkt vor seiner Nase einen Mokassin, der mit einem Motiv, das vage an einen Vogel mit ausgebreiteten Flügeln erinnerte, verziert war. Er erhielt einen Tritt in die Rippen und krümmte sich zusammen. Dann ließ man ihn in Ruhe. Rasch sank er in einen unruhigen Schlummer.
Der Schmerz war unerträglich geworden. Vor seinen ungläubigen Blicken spielten sich grauenhafte Orgien ab, bei denen er und le Revenant die Hauptmahlzeit abgaben. Man zerstückelte sie und riss ihnen die Eingeweide aus dem Leib, um stattdessen knisternde heiße Steine hineinzugeben. Die Kinder hatten sich bluttriefende Gedärme um den Hals gehängt und tanzten. Frauen fuhren mit den Händen in die beiden Leiber und rissen halb gekochte Organe heraus, in die sie mit Appetit bissen. Alexander stieß ein entsetzliches Geheul aus.
Schweißüberströmt erwachte er und tastete sich Bauch, Schenkel und intime Teile ab. Sein Körper war ein einziger Schmerz, aber er war noch vollständig vorhanden. Gott sei Dank, sie hatten ihn nicht verstümmelt! Eine eigenartige Stille war an die Stelle der unheimlichen Schreie und des düsteren Hohngelächters getreten. Aber noch immer hing der Geruch nach Erbrochenem und verbranntem Fleisch in der Luft. Er versuchte sich auf die Seite zu wälzen, doch der Schmerz zwang ihn, auf dem Rücken liegen zu bleiben.
Hébert Chamards Foltertod war kein Traum gewesen. Die Bilder aus seinem Alptraum waren der Nachhall dessen gewesen, was er gesehen hatte. Le Revenant war so schwach gewesen, dass er nur noch auf den Tod gewartet hatte. Kurz vor Sonnenaufgang hatten die Irokesen, die sahen, in welchem Zustand er sich befand, ihm mit einer Axt den Kopf abgeschlagen. Die Dorfbewohner hatten seine Überreste untereinander aufgeteilt und sie gebraten oder gekocht, um sie zu essen. Dann hatten sie einen großen Radau veranstaltet, um seinen Geist aus dem Dorf zu jagen.
Alexander erinnerte sich auch, dass er gespürt hatte, wie kalter Schnee seine Brandwunden gekühlt hatte, und dass man ihn auf einer Trage aus Tannenzweigen weggebracht hatte. Wo war er, und was war geschehen? Warum war er noch am Leben? Würde er in den Kochtopf wandern, sobald er sich wieder auf den Beinen halten könnte?
Er vernahm eine flüsternde Stimme, die ihm wohlgesinnt zu sein schien. Jemand tastete ihn vorsichtig ab und legte Umschläge auf seine Beine. Er konnte die Person im Dunkel nicht erkennen, aber er nahm den würzigen und leicht harzigen Geruch der kleinen Indianerin wahr, die ihm und dem Revenant täglich das Essen gebracht hatte. Mit einem Mal fiel ihm auf, dass er die junge Frau bei der Marterzeremonie nicht gesehen hatte.
»Ruht Euch aus.«
Ihre Lippen streiften sein Ohr, als sie diese Worte in stockendem Französisch murmelte. Wie vor den Kopf geschlagen starrte Alexander ihre Silhouette an. Sie sprach Französisch!
»Sagt mir …«
»Psst! Satejahtha 36 .« Nur Mut.
Mit ihrer weichen Handfläche, die über seine Wange strich, vertrieb sie für einen Moment seine Sorgen.
»Die Witwe hat doch noch beschlossen, Euch zu adoptieren. Saatawatsi .« Du bist ein schöner Mann.
Adoptiert? Die Witwe hatte ihn adoptiert? Er rückte herum. Er wollte alles wissen. Doch die Frau drückte ihn sanft, aber bestimmt auf die Matte hinunter, gebot ihm Schweigen und deckte ihn mit einem Bärenfell zu. Irgendwo in der undurchdringlichen Dunkelheit schnarchte jemand. Im Moment würde er nichts weiter erfahren. Eine angenehme Mattigkeit überkam ihn.
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