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Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Titel: Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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Schachtel in ein Regal. Die Zeichenmappe lag noch auf der Erde; glücklicherweise so, dass das Porträt nicht zu erkennen war. Sie bückte sich, doch Alexander kam ihr zuvor.
    »Nein!«
    Panisch, weil sie nicht wollte, dass er die Skizze sah, riss sie ihm das Heft aus den Händen und klappte es hastig zu.
    »Tut mir leid … Ich wollte dich nicht …«
    Verwirrt suchte Alexander nach Worten. Seine Zukunft würde sich hier und jetzt entscheiden. Er knetete seinen Hut in den mit Blasen und Schnitten überzogenen Fingern und betete lautlos. Wenn Isabelle sein Angebot ablehnte … Er hatte so hart gearbeitet, um alles für ihre Ankunft vorzubereiten. Bei jedem Nagel, den er in ein Brett geschlagen, jeder Schindel, die er auf dem Dach befestigt hatte, war es ihm vorgekommen, als rücke die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit ihm gehen würde, näher.
    Doch während er jetzt vor ihr stand, war er sich überhaupt nicht mehr sicher; trotz der Holzkisten, die er in der Eingangshalle gesehen hatte. Aber er musste sich ins kalte Wasser stürzen.
    »Zwei Monate habe ich dir jetzt Zeit zum Nachdenken gelassen. Ich finde, das ist ein vernünftiger Zeitraum…«
    »Vernünftig? Glaubst du wirklich, dass zwei Monate ausreichen, um den Tod meines Mannes zu verwinden?«
    Ganz schlechter Anfang! Alexander hob die offenen Hände; eine Bitte um Waffenstillstand.
    »Nein, du hast natürlich recht, das ist nicht lange genug. Trotzdem ist es die Frist, die ich dir gesetzt hatte, und … ich habe sie eingehalten.«
    »Du hattest von eineinhalb Monaten gesprochen!«
    Dieser Vorwurf schenkte Alexander den Hauch einer Hoffnung. Um den Zorn von sich abzulenken, der in ihren grünen, goldgesprenkelten Augen stand, wechselte er das Thema.
    »Wie geht es Gabriel?«
    »Gabriel? Ähem … besser.«
    »Und dir, Isabelle?«
    Sie nickte und presste das Heft an ihre Brust. Die Schatten unter ihren Augen und die Blässe ihrer Haut sprachen allerdings vom Gegenteil. Er selbst sah nach der harten Arbeit der letzten Wochen wahrscheinlich auch nicht gesünder aus.
    Da das Schweigen sich in die Länge zog, ließ Alexander seinen Blick durch das Zimmer schweifen, das sich so vollständig anders darbot als bei seinem letzten Besuch. Heute strömte das Licht in den Raum und ließ eine Vielzahl von Farben an den Wänden aufleuchten, an denen Kohleskizzen und Pastellzeichnungen hingen. Er trat heran und schaute einige Zeichnungen an, die Katzen, Schmetterlinge, Vögel und Käfer darstellten.
    »Von Gabriel?«, fragte er gerührt.
    »Ja.«
    Isabelle, der er den Rücken zuwandte, beobachtete ihn, während er die Werke seines Sohns betrachtete. Als er sich bewegte, bemerkte sie die Silberfäden in seinem Haar. Jetzt schon? Wie alt war er eigentlich? Wenn sie richtig rechnete, musste er Mitte dreißig sein. Sie selbst ging auf die Dreißig zu. Die Jahre verstrichen. Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, als läge die unbeschwerte Zeit, in der sie durch die Gassen von Québec gestreift war, unendlich weit zurück.
    Plötzlich wurde ihr klar, dass die Jahre vergingen und sie beide unweigerlich älter wurden. Ein schwer zu beschreibendes Gefühl stieg in ihrem Herzen auf, als sie diesen Mann sah, dessen Rücken sich vielleicht eines Tages krümmen würde, ohne dass er seinen Sohn wirklich kennengelernt hätte. Hatte sie das Recht, ihm den Stolz, den ein Vater auf seinen Sohn empfindet, vorzuenthalten?
    Alexander drehte sich um und versuchte nicht einmal, die Tränen zu verbergen, die ihm über die Wangen liefen. Isabelle spürte Scham in sich aufsteigen. War sie nicht ebenso für diese Situation verantwortlich wie Justine und Étienne? Hatte sie nicht selbst genug davon, dass andere an ihrer Stelle entschieden und die Konventionen, auf die sie früher kaum etwas gegeben hatte, ihr Leben diktierten?
    »Ein Wort …«, stieß Alexander mühsam hervor. »Ein einziges Wort, und ich gehe.«
    Er sah Isabelle, deren Wangen ebenfalls feucht waren, eindringlich an. Welche Gefühle bewegten sie? Ein einziges Wort aus ihrem Mund, und er würde es wissen. Er würde keine Fragen mehr stellen und nicht weiter in sie dringen, sondern einfach gehen. Wusste sie eigentlich, dass sein Leben in ihrer Hand lag?
    »Ich …«
    Sie stellte das Heft auf die Staffelei, trat auf ihn zu und sah ihm direkt in die Augen.
    »Alex … Gabriel braucht stabile Verhältnisse, und ich auch. Er kennt dich nicht… Und ich muss dir gestehen, dass es mir nicht anders geht. Wir sind heute wie Fremde

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