Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Titel: Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
Vom Netzwerk:
Kinderzimmers stehen: Gabriel lag auf dem Bauch, bewegte seine Zinnsoldaten und rief dazu »bumm!«, »puff!« oder »aaagh!«. Das rührende Bild nahm ihr jede Lust, ihren Sohn zu bestrafen. Der Kleine spürte ihre Anwesenheit, unterbrach sein Spiel und wandte ihr errötend sein hübsches rotes Köpfchen zu.
    »Oh! Ich sammle sie ein, Mama, ve’sp’ochen!«
    »Schon gut, Gabriel. Da du dich so gut unterhältst, darfst du noch bis zum Abendessen spielen.«
    »K’ieg ich denn t’otzdem meine Vespe’?«
    »Ja, mach dir keine Sorgen.«
    Der Junge schenkte ihr ein strahlendes Lächeln und enthüllte eine Lücke im Kiefer, in der schon die kleinen Zacken eines neuen Zahnes zu sehen waren. Sie verlieh ihm etwas Spitzbübisches. Dann widmete er sich wieder seinem Spiel.
     
    Mit pochendem Herzen, die Hand vor den Mund geschlagen, rannte Isabelle davon und suchte Zuflucht in ihrem Schlafzimmer. Sie schloss die Augen und sah, wie Alexanders Züge sich vor Gabriels Gesicht schoben. Seit zwei Wochen geschah das immer wieder, und sie brach in Tränen aus.
    Hör auf, ständig zu weinen, dumme Gans! Du heulst ja wie ein Schlosshund! Sogar Gabriel verhält sich erwachsener als du!
    Wirklich, seit einigen Tagen war sie furchtbar empfindlich. Sie geriet wegen eines verschütteten Tropfens Milch aus der Fassung oder zerfloss vor Mitleid mit einer Maus, die in die Falle gegangen war. Was hatte sie nur? Gewiss, Erschöpfung hatte auch etwas damit zu tun. Von einem Tag auf den anderen allein dazustehen, war körperlich wie seelisch anstrengend. Sie hatte so viele Verpflichtungen geerbt! Aber vor allem erschreckte es sie, plötzlich Herrin ihres Geschicks zu sein. Jetzt war sie vollkommen frei und konnte über ihr Leben entscheiden.
    Was willst du, Isabelle? Was sagt dir dein Herz? Es ist Zeit, eine Wahl zu treffen!
    Sie streckte sich auf dem Bett aus, schaute an die Decke und wischte sich die Augen. Dann legte sie die Hände sanft um ihr Gesicht. Pierre pflegte ihre Tränen auf diese Weise zu trocknen. So hatte er sie in jener Nacht getröstet, als sie um Alexander getrauert hatte. Ja, welche Rolle mochte er bei diesem abscheulichen Verbrechen gespielt haben? Sie biss die Zähne zusammen und wies den Gedanken von sich, denn sie konnte einfach nicht glauben, dass ihr Mann für eine solche Schändlichkeit verantwortlich war. Sie legte sich auf die Seite, rollte sich zusammen und konzentrierte sich auf die glücklichen Erinnerungen an die schönen Zeiten, die sie zusammen mit Madeleine auf der Île d’Orléans erlebt hatte. Nach einer reichen Erdbeerernte hatten sich die beiden Frauen nebeneinander auf eine alte Bank gesetzt und sich die süßen Früchte schmecken lassen. Sie hatten über den Fluss geschaut und die langen grauen Rauchfahnen betrachtet, die aus den Häusern von Beaumont aufstiegen.
    In dem letzten Brief an ihre Cousine hatte Isabelle nicht erwähnt, dass sie vorhatte, Montréal zu verlassen … Jacques Guillot kümmerte sich um den Verkauf des Hauses. Der Notar hatte zwar seine Enttäuschung nicht verborgen, sich aber jede Bemerkung versagt, wofür Isabelle ihm dankbar war. Er hatte auch nicht gefragt, wohin sie reiste; sicherlich weil er vermutete, dass sie das Grundstück in Beaumont in Besitz nehmen wollte. Aber würde sie wirklich dorthin reisen? Warum fiel es ihr so schwer, sich zu entscheiden?
    Weil du auf ihn wartest! Du willst es dir nicht eingestehen, aber du wartest auf ihn!
    Sie hatte das Gefühl, auf einem Ozean der Einsamkeit zu segeln und Ausschau nach einer Erscheinung zu halten, die sie vor dem Untergang retten würde. Aber sie sah nichts. Der Juli war schon ziemlich weit fortgeschritten, aber Alexander hatte sich nicht blicken lassen. Sie setzte sich auf, rieb sich kräftig die Schläfen, um ihre Kopfschmerzen zu vertreiben, und schaute sich dabei im Zimmer um. Ärgerlich über ihre Stimmungsschwankungen und ihre Unentschlossenheit hieb sie mit der Faust auf die Matratze.
    »Zinnsoldaten, genau, die bräuchte ich!«
    Sie lachte höhnisch auf und erhob sich, um an den großen Kleiderschrank zu treten.
    Das wird sehr schön in Beaumont! Mado wird sich freuen, mich zu sehen. Wir können zu unseren alten Gewohnheiten zurückkehren. Gabriel wird es dort gut gefallen! Und die Luft ist auch gesünder als in der Stadt…
    Sie hatte den Schrank geöffnet und ergriff einen Stapel Strümpfe, die sie aufs Bett legte. Sie strich über das Woll- und Seidengewebe und hörte, wie Gabriel und Marie lachten. Louisette

Weitere Kostenlose Bücher