Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
er nach Montréal zurückkehren. Würde er diesem quälenden Drang, sie wiederzusehen, widerstehen können? Alles wäre viel leichter gewesen, wenn er mit den anderen in Grand Portage hätte bleiben können. Er hätte wie ein Bär in seiner Höhle gelebt und während der Zeit, in der man wegen des Schnees nicht nach draußen konnte, vor dem Eisenofen gesessen und geschnitzt. Es verdross ihn, dass er nach Montréal zurückkehren musste, aber so legte es sein Vertrag fest. Ihm blieb nichts anderes übrig. Außerdem war da noch dieses Geheimnis, das er bewahrte, dieser Schatz, dessen Hüter er sein würde, falls dem Hollandais etwas zustieß …
Hinter ihm knirschten Kieselsteine, doch er löste den Blick nicht von dem üppigen Bild, das vor seinen Augen lag.
»Hey, Macdonald!«, rief ihn eine Falsettstimme an.
Es war der junge Chabot, den alle den »Milchbart« riefen.
»Der Hollandais will dich sofort sehen. Er ist im Hinterzimmer des Kontors.«
Im Kontor herrschte reges Treiben. Jeden Tag kamen Dutzende von Indianern hierher und brachten ihre Pelze, die irdischen Hüllen ungefähr jeder Tierart, die diesen Landstrich bewohnte. Alexander hatte schon mehrfach Gelegenheit gehabt, dem nicht enden wollenden Geschacher beizuwohnen, bei dem sich die Weißen ebenso hinterlistig wie die Eingeborenen geizig zeigten. Die Indianer tauschten kostbare Biberfelle ein, außerdem die Pelze von Schwarzbären, Füchsen in all ihren zahlreichen Farbschattierungen, Wölfen, Luchsen, Hermelinen und ihrer Verwandten, um verschiedene Waren aus den Regalen des Lagers zu erwerben: Hemden, Stoffe wie Serge oder Segeltuch, Wolldecken, Messer, Waffen und Schießpulver, Pfeifen und Tabak, Alkohol, Fallen, Äxte, Kochtöpfe, Essgeschirr, Löffel, Maultrommeln sowie eine Menge kleiner Gegenstände wie Glasperlen, Straußenfedern, Filzhüte und rote Röcke.
Jede Partei wollte einen möglichst großen Gewinn einstreichen, daher wurde erbittert um den Preis der Felle gerungen. Wenn zwei Eingeborene denselben Gegenstand erwerben wollten, dann bekam ihn derjenige, der zur großen Freude der Kontoristen ein oder zwei Pelze zugab.
Als Alexander in das verrauchte Gebäude trat, erblickte er drei Eingeborene, die mit dem Kontoristen diskutierten, William Long, einem Amerikaner aus Albany. Einen von ihnen kannte er, da er ihm schon mehrfach begegnet war. Das Gespräch wurde auf Algonquin geführt, sodass er nicht verstand, worum es ging. Allerdings entnahm er den Blicken und Gesten der Männer, die sich auf eine junge Indianerin richteten, die ruhig in ihrer Nähe wartete, dass sie im Mittelpunkt des Streits stand. Long schüttelte den Kopf und weigerte sich, dem Anliegen der Algonquins nachzukommen. Die Stimmen wurden lauter, und Neugierige sammelten sich, die den Männern zuhörten. Nach einer Weile trat van der Meer, der sichtlich verärgert über den Radau war, in den Raum.
»Bezaan! Bezaan!« , gebot er auf Algonquin Ruhe.
Der Hollandais wandte sich an den Kontoristen und verlangte eine Erklärung.
»Sie wollen eine Schuld aus dem letzten Winter bezahlen, indem sie uns diese Frau anbieten, Monsieur.«
Van der Meer betrachtete die Eingeborene prüfend, als wäre sie nur ein weiterer Pelz, den er einhandeln wollte. Brummend vor Ungeduld sah er Long an.
»Wie hoch ist diese Schuld?«
Der Kontorist fuhr mit dem Zeigefinger über die Seite eines alten, tintenbeklecksten Hauptbuchs.
»Ein Fässchen Branntwein, ein Pfund Schießpulver, zwei Pfund Blei und… ein Messer.«
Der Hollandais seufzte.
»Heilige Muttergottes! Willst du diese Frau verkaufen, Wemikwanit?«
Er hatte den kleinsten der drei Eingeborenen angesprochen, der wie ein Weißer gekleidet war: rotes Baumwollhemd und einen Flechtgürtel um die Taille, Beinlinge aus brauner Wolle, die sehr hübsch mit indianischen Mustern verziert waren. Der Mann reckte die Schultern und presste seine ohnehin schon schmalen Lippen empört zu einem schmalen Strich zusammen.
»Nein. Kaishpa will diese Frau anbieten… Er hat eine Schuld, diba’amaage 25 .«
»Ist sie seine Frau?«
Schweigen. Der Hollandais verzog leicht die Mundwinkel.
»Oshkiniigikwe! Gigishkaajige!« , beharrte Kaishpa und wies auf die Frau. Sie ist jung und schwanger. »Guter Tausch. Sehr gut.«
Van der Meer ging um die junge Frau herum, die hocherhobenen Hauptes die Wand anstarrte.
»Kaishpa soll wissen, dass ich kein Sklavenhändler bin.«
»Das weiß Kaishpa, ich habe es ihm gesagt«, antwortete Wemikwanit, immer
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