Hilfe, ich habe Urlaub
wirkliche
Offenbarung. Als ich über den Mittelgang schlurfte und ehrfurchtsvoll an die Decke starrte, las ich dem Reiseführer begierig jedes Wort von den Lippen. Als ich mir nichts mehr merken konnte, schrieb ich alles in ein Notizbuch.
Ich wollte um jeden Preis wissen, wie lange es gedauert hatte, die Kirche zu bauen und wie viele Ziegelsteine dazu benötigt wurden, in welchem Jahr der Blitz eingeschlagen hatte, wann der Ostflügel hinzugefügt worden war, wie lange man gebraucht hatte, um die Orgel einzubauen, wie viele Bäume für die Kirchenbänke gefällt werden mußten und wie viele Holzfäller dabei umkamen, wie viele Eimer Blattgold allein für die Decke verbraucht wurden und wie viele Kilometer Gerüst man errichtet hatte, um sie zu restaurieren. Ich zeichnete pflichtbewußt auf, welche gekrönten Häupter hier begraben lagen und in welcher Stadt die Glocken gegossen worden waren. Ich glaube, einmal stieß ich sogar »Wo-bleibt-Babcock?« fast in ein Taufbecken, um näher an den Führer zu kommen.
Nach vierzig oder fünfzig Kirchen bekam ich einen glasigen Blick und war nicht mehr recht bei der Sache. Als irgendwo in einem Dom gedruckte Informationen ausgeteilt wurden, wickelte ich darin mein Kaugummi ein. Als später der Reiseführer fragte: »Gibt es noch Fragen?«, fragte ich, wie viele Kathedralen man an einem Tag besichtigen könne, bevor man ins Koma fiele.
Gegen Ende der Reise sah dann St. Paul’s für mich so aus wie die Lateranbasilika, und Santa Maria Maggiore kam mir vor wie die Markuskirche.
Schließlich erreichte ich den Punkt, wo schon Robert Redford die Messe hätte lesen müssen, um mich noch aus dem Bus zu kriegen.
Während das durchorganisierte Schreckensregiment gnadenlos weiterging, hatte ich ganz andere Sorgen. Meine zwölfteilige Reisegarderobe fing an, mich im Stich zu lassen. Die Brusttasche an der Jacke riß ein, und ich konnte sie nur noch mit verschränkten Armen tragen.
Meine einzige Bluse hatte ein paar Flecken, die nicht mehr rausgingen. Das T-Shirt war eingelaufen. Ich kaufte mir eine zusätzliche Schirmmütze und bastelte mir einen ausgefallenen BH, um ihn am Swimmingpool zu tragen.
Seit London paßten mir meine Hosen nicht mehr … oder war es seit Rom?
Wir alle wurden gereizt. Sobald mein Mann ein Hotelzimmer erreichte, fing er an
auszupacken, als hätten wir gerade das Gebäude gekauft. Jeder Koffer wurde in Schubladen und Schränke geleert… wenn auch nur für eine Nacht. Dann begann er hingebungsvoll seine Wäsche zu waschen. Da konnte die Sonne hinter dem Matterhorn untergehen. Da konnte ein Fest in den Straßen von Florenz sein. Da konnte der Gewinner der Tour de France direkt unter unserem Hotelzimmer über die Ziellinie fahren. Er erledigte seine Wäsche.
Und ich war es inzwischen leid, sein blödes Stativ mitzuschleppen. Ein wildfremder Mensch stürzte eines Tages im Kaufhaus Harrods auf mich zu, zeigte erfreut auf die ständige Ausbeulung in meinem Overall und meinte: »Sie reisen ja auch mit einem Stativ.«
Doch das schlimmste an dieser Gruppenreise war, daß wir einundzwanzig Tage lang,
sechzehn Stunden am Tag, mit anderen Amerikanern zusammensein mußten. Gott behüte, daß wir mal einen Österreicher, Deutschen, Franzosen, Schweizer, Italiener, Iren, Belgier, Engländer oder Niederländer kennengelernt hätten. Wir warteten in Hotelhallen mit Gruppen anderer Amerikaner, die auch auf ihren Reisebus warteten. Wir besichtigten Sehenswürdigkeiten, wo aus allen anderen Bussen nur Amerikaner ausstiegen. Wir aßen an langen Tischen miteinander in Lokalen, die ganz auf amerikanische Touristen eingestellt waren und uns wie Pockenkranke in geschlossene Sälen, absonderten.
Reiseführer erzählten uns amerikanische Witze auf Englisch. Wir wurden an Souvenirständen abgesetzt, die TShirts mit den Namen amerikanischer Footballmannschaften verkauften. Wenn wir in den Zirkus oder ins Theater gingen, wurden wir neben andere amerikanische Touristen gesetzt.
Der einzige Fremde, an den wir in drei Wochen näher rankamen, war Lils Irish Setter.
Der Bus rollte weiter, und am einundzwanzigsten Tag der Reise fand sich unsere Gruppe im Restaurant des weltberühmten Eiffelturms beim obligatorischen Gala-Abschiedsessen wieder.
Ich schaute mir diese Menschen an, die ich öfter gesehen hatte als meine Mutter und die mir nähergekommen waren als mein Frauenarzt. Wir hatten einige außergewöhnliche Erlebnisse miteinander geteilt.
Wir hatten in einem schottischen
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