Hilfe, ich habe Urlaub
die Handtasche von den Schultern. »Zigeunerkinder« umringten einen, und hinterher fehlten Brieftasche und Wertsachen.
Angeblich konnte es einem sogar beim Warten an der Ampel passieren, daß die Autofenster eingeschlagen und das Gepäck herausgezerrt wurde.
Wir schworen uns, vorsichtig zu sein.
Statt des sportlichen Zweisitzers, den wir bestellt hatten, bekamen wir einen Kombi
zugewiesen, der nicht gerade benutzerfreundlich war. Der Motor brummte nicht, er stieß furchterregende Klagelaute auf Italienisch aus. Sobald die Tür zugeschlagen wurde, ging das Radio an. Den Rückwärtsgang hätten wir auch in zehn Jahren nicht gefunden. Steckte der Schlüssel erst im Zündschloß, gab es keinen Weg, ihn wieder herauszukriegen.
In unserem »schnittigen« Gefährt umkreisten wir behäbig wie ein Dinosaurier auf Rädern den Flughafen, bis wir nach einer halben Stunde zufällig auf die Via Don stießen.
Um eine Vorstellung davon zu geben, wie lange wir brauchten, um unser Hotel zu finden, benötigen wir einen Vergleichswert.
Susan Butcher, die mit einem Hundeschlitten quer durch Alaska gefahren ist, hat für die nahezu zweitausend Kilometer von Anchorage nach Nome elf Tage, eine Stunde, dreiundfünfzig Minuten und dreiundzwanzig Sekunden gebraucht.
Wir brauchten in einem Fiat fünf Stunden und dreiunddreißig Minuten für die dreißig
Kilometer zu unserem Hotel.
In Neapel ist der Verkehr kein Zustand, sondern ein Kriegszustand. Wenn Sie zufällig den Film »Also sprach Bellavista« gesehen haben, werden Sie sich vielleicht noch daran erinnern, was ein »Hakenkreuzstau« ist. Doch auch, wenn man es geschafft hat, auf eine der acht bis zehn parallelen Spuren zu kommen, befindet man sich in einem brodelnden Hexenkessel. Rote Ampeln leuchten auf, aber keiner hält. Grüne Ampeln leuchten auf, und keinen kümmert’s.
Wagen quetschen sich vor Sie und biegen nie wieder ab. Es kommen nur immer neue dazu. Die Straßenschilder sind alle auf Italienisch (was sonst?) und überfordern zumindest meinen italienischen Wortschatz, der hauptsächlich aus »antipasto« und »Quasimodo« besteht.
»Wie überleben hier eigentlich die Fußgänger?« fragte ich meinen Mann.
»Sie sind schon auf dem Bürgersteig zur Welt gekommen«, knurrte er.
Als es allmählich dunkel wurde und wir immer noch durch Neapel fuhren, setzte die Panik ein. Wir würden bald die Scheinwerfer einschalten müssen, und was dann?
Wir wagten es nicht, die vielen unbekannten Schalter im Auto auch nur anzurühren. Was, wenn uns das Benzin ausging? Wie lange würde es bei diesem Verkehr dauern, bevor jemand merkte, daß wir nicht mehr aus eigener Kraft vom Fleck kamen, sondern nur noch im Stau vorwärts geschoben wurden? Ein Jahr? Zwei?
Als wir von der falschen Seite durch eine Einbahnstraße fuhren, kam uns ein Bus entgegen.
Mein Mann wich in eine düstere Seitenstraße aus, um einen Frontalzusammenstoß zu vermeiden.
Wir saßen einen Augenblick da und starrten entmutigt in die Dunkelheit, als mein Mann etwa ein Dutzend glühender Zigarettenspitzen hinter unserem Auto bemerkte. Sie gehörten zu einer Gruppe Halbstarker, die an Motorrädern lehnten. Ich erstarrte.
Das waren mit Sicherheit die Straßenräuber, vor denen uns alle gewarnt hatten.
Entnervt riß mein Mann die Tür auf und sagte: »Ich werde denen jetzt sagen, daß wir
Touristen sind und uns verfahren haben.«
Ich packte seinen Arm. »Tu das«, meinte ich mit Grabesstimme, »aber du sollst wissen, daß du in deinem Leben nie etwas Dümmeres getan hast.«
»Und wenn schon«, entgegnete er ungerührt. »Wir müssen unser Hotel finden.«
Ein paar Minuten später setzte sich einer der jungen Männer mit meinem Mann nach vom in den Wagen, und ich mußte hinten Platz nehmen. Ein weiterer junger Mann stieg auf seine Maschine und bedeutete uns, ihm zu folgen. Gemeinsam brachten sie uns direkt vor die Tür unseres Hotels. Als wir ihnen Geld geben wollten, lehnten sie dankend ab und wünschten uns einen schönen Aufenthalt in Neapel… und wir sollten achtgeben auf unsere Kamera und die Handtaschen. In dieser Gegend gäbe es Straßenräuber.
Ich habe das aus zwei Gründen erzählt. Zum einen, weil man so was selten zu hören
bekommt. Wer erwähnt schon die Begegnungen mit netten Menschen, die sich freuen, wenn man ihr Land besucht, und es einem auch zeigen.
Zum anderen war es das einzige Mal, daß mein Mann zugab, sich verfahren zu haben.
Als wir an diesem Abend ins Bett krochen, wußten wir, was
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