Hilflos in deinen Armen
zur Raserei treibt, aber er liebt sie wie die eigene Tochter.“
„Und in Abwesenheit des Hauptmanns“, fuhr Gillian fort, da ihr die Schadenfreude des Vogts gewaltig gegen den Strich ging, „übernimmt Sir Bayard das Kommando über die Burgwehr.“
Sir Bayards Lippen hoben sich unmerklich. „Es wäre mir eine Ehre“, sagte er, derweil der Burgvogt eine düstere Miene zog.
„Ich glaube nicht, dass …“, begann er.
„Genug!“, fauchte sie, verärgert darüber, dass der Kastellan ihre Entscheidungen infrage stellte, aber auch wenig begeistert über Bayards ungebetene Ratschläge. „Ich weiß Euren Rat und Eure Besorgnis durchaus zu schätzen, darf Euch aber daran erinnern, dass Ihr weder mein Vater seid noch mein Onkel, mein Bruder oder mein Gemahl! Also spart Euch Eure Einwände. Ihr seid mein Verwalter, sonst nichts!“ Kaum waren die Worte heraus, da bereute sie ihren barschen Verweis auch schon, denn Dunstan wurde rot und schien richtig zusammenzuschrumpfen.
„Teilt Ihr dem Burghauptmann Eure Entscheidung selber mit, Mylady?“, erkundigte sich der Ritter. „Oder soll ich das für Euch übernehmen?“
„Das mache ich schon“, beschied sie brüsk, heilfroh über die Gelegenheit, dem selbstbewussten Sir Bayard und ihrem Verwalter mit seinem Dackelblick zu entkommen. „Umgehend.“
Als die Tür krachend hinter ihr ins Schloss flog, wandte sich der Verwalter an Bayard. „Sie möchte das Beste von Euch annehmen“, zischte er vorwurfsvoll, „weil ihre Schwester Euren Bruder zum Mann genommen hat. Aber ich weiß, was Ihr für einer seid. Falls Ihr Gillian in irgendeiner Weise wehtut, sorge ich dafür, dass Ihr es bereut.“
Bayards Blick hatte schon kühnere Männer als Dunstan das Fürchten gelehrt. „Einen Dreck wisst Ihr von mir, Dunstan! Und wenn Ihr so klug seid, wie Eure Herrin glaubt, dann kommt Ihr Lady Gillian oder mir nicht noch einmal mit solchen Anschuldigungen. Egal, ob in meiner Hörweite oder nicht.“
10. KAPITEL
Gillian machte sich auf zu ihrem Burghauptmann, um ihn über seinen neuen Auftrag in Kenntnis zu setzen. Hätte sie nicht sowieso gewusst, wo der bärbeißige Schotte zu finden war – sie hätte bloß seinem Gebrüll zu folgen brauchen.
„Fester, Mann! Sonst reiße ich dir den Arm aus und zieh ihn dir über die Rübe!“
„Mensch, das kann ja selbst meine alte Mutter besser!“
„Willst du dich umbringen lassen, Junge?“
Schon hundertmal hatte sie sein lautstarkes Geschimpfe gehört, und die Männer der Burgwehr ebenso. Vergnüglich war es dennoch nicht, besonders nicht für die Empfänger seiner geharnischten Schelte. Aber man wusste zumindest, woran man bei dem alten Kämpen war. Plötzliche oder gar unberechenbare Gefühlsaufwallungen, durch einen Blick oder eine Berührung ausgelöste Temperamentsausbrüche waren ihm fremd. Iain war eher wie ein zweiter Vater und sagte, was er dachte. Eben deswegen mochte Lizette ihn ganz und gar nicht. Wenn er der Meinung war, dass ihr Benehmen zu wünschen übrig ließ, redete er nicht lange um den heißen Brei herum.
In ihren gemeinsamen Jugendjahren hatte Gillian oft den Mund gehalten und sich um des lieben Friedens willen nach besten Kräften zusammengerissen. Das klappte indes nicht immer, was zuweilen zu hitzigen Auseinandersetzungen mit Lizette führte. Zum Glück war ihre jüngste Schwester nicht nachtragend, und auch Gillian selber entschuldigte sich relativ rasch, wenn sie merkte, wie sehr die Zankereien ihre Mutter und Adelaide belasteten. In diesen Phasen fühlte sie sich wirklich wie die Tochter ihres Vaters. Die Vorstellung, sie könne womöglich sein auffahrendes Wesen geerbt haben, war ihr ein Gräuel.
Iains Gegenwart und seine scharfe Zunge machten es ihr leichter, Nachsicht mit Lizette zu üben. Er warf der Jüngsten nämlich schonungslos die Sachen an den Kopf, die Gillian ihr ebenfalls gern gesagt hätte.
Allerdings hielt der Schotte auch ihr gegenüber nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg. Im Gegensatz zu ihrer jüngsten Schwester war Gillian aber die unverblümte Wahrheit lieber als Beschönigungen oder beruhigende Lügenmärchen. Der Hauptmann behandelte sie wie einen erwachsenen Menschen, nicht wie ein unmündiges Kind, das man auf Schritt und Tritt in Watte packen musste. Genau wie Bayard, wie ihr bei dieser Gelegenheit einfiel.
Beim Betreten der Vorburg sah sie schon von Weitem einen ganzen Haufen halb nackter, schweißüberströmter Soldaten, die sich mit hölzernen Übungsschwertern
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