Hilflos in deinen Armen
überzeugt gewesen, sie könne das Anwesen mit Tüchtigkeit, Gerechtigkeit und Güte führen, sowohl die Ländereinen als auch das Gesinde. Mit Dunstan hatte sie stundenlang zusammengesessen und beredet, was man verbessern konnte. Für einige kurze Monate hatte es ja auch so ausgesehen, als laufe alles so, wie sie es sich erhofft und erträumt hatten.
Nun aber schien sie trotz aller Anstrengungen zu scheitern.
Manches ließ sich eben nicht verhindern, das war ihr klar. Es stand nicht in ihrer Macht, ihre Schwestern zu kontrollieren oder den König und dessen Gegner. Sie hatte keinen Einfluss auf das Wetter und das Wachsen des Getreides, und sie konnte die Welt auch nicht vor dem Bösen bewahren.
Doch leider hatte sie in anderer Hinsicht versagt. Sie hatte weder Dena schützen können noch Dunstan und Frederic möglicherweise auch nicht. Sie hatte sich von einem betrügerischen Weinhändler übers Ohr hauen lassen. Sie hatte ihre Gefühle – Sehnsucht, Einsamkeit, Liebe – über ihre Pflicht gestellt.
Vielleicht verdiente sie’s ja tatsächlich nicht, das Lehen zu leiten. Möglicherweise lagen die Männer doch richtig mit ihrer Behauptung, eine Frau, und möge sie noch so klug und entschlossen sein, könne kein Anwesen führen. Sollte sie etwa zurücktreten und Armand de Boisbaston die Leitung des Besitzes antragen?
Aber würde sie dann auch noch bleiben dürfen? Falls nicht – wohin konnte sie gehen? Was sollte sie tun? In ein Konvent eintreten? Der Welt entsagen? Averette den Rücken kehren? Bayard vergessen?
Als sie den Kopf neigte, schmeckte sie eine Träne salzig und warm auf den Lippen. Da hallte plötzlich ein dröhnender Knall durch den Saal.
Erschrocken blickte Gillian auf und sah, wie Seltha und Joanna eine Tischplatte gegen die Wand wuchteten. Die musste ihnen vorher wohl umgekippt sein.
„Verzeiht, Mylady!“, rief Seltha. „Wir wollten Euch nicht …“, sie zögerte, „… stören.“
„Ihr solltet Euch etwas hinlegen“, riet Joanna. Offenbar waren die beiden Mägde ehrlich besorgt um die Gesundheit der Burgherrin. Gillian begriff, dass das wohl auch für die übrigen Dienstboten galt, die sie unsicher beäugten. Die Menschen verließen sich auf sie und vertrauten darauf, dass sie für Sicherheit sorgte. Auf ihre Weise liebten sie ihre Lady auch.
Der Gedanke erfüllte sie mit neuer Frische. Es waren ihre Leute, ihre Freunde. Dies war ihre Heimat, die sie, die Burgherrin, erhalten, schützen und lieben musste. Zumindest bis auf Weiteres. Schützen vor mutmaßlichen Meuchelmördern, vor Schurken, die nichts als Chaos und Anarchie verbreiteten.
Sie war die Herrin zu Averette. Aufgeben kam nicht infrage. Sie hatte nicht die Absicht, sich Zweifeln und Verzweiflung zu beugen. „Ach was, halb so wild“, wehrte sie energisch ab und straffte die schlanken Schultern.
Mochte ja durchaus sein, dass sie in mancher Hinsicht Schiffbruch erlitten hatte. Dafür war sie auf anderen Gebieten jedoch erfolgreich gewesen. Die Gerichtsversammlung beispielsweise hatte den Menschen das Gefühl vermittelt, dass der Gerechtigkeit Genüge getan werde, anders als zu ihres Vaters Zeiten. Am Abend nach dem Wettmähen waren alle von Herzen glücklich und zufrieden gewesen. Sie, die Burgherrin, hatte zu dieser Zufriedenheit beigetragen, denn die Menschen wussten, im Grunde ihres Herzens handelte die Herrin immer im besten Interesse ihrer Schutzbefohlenen.
Ganz gleich, welche Opfer sie bringen musste, was für Feinde ihr gegenüberstanden oder welche Hindernisse sie sonst noch zu überwinden hatte – sie war entschlossen, ihre Pflicht zu tun.
„Das hier muss die Stelle sein, wo sie ihn umgebracht haben“, sagte Robb zu Bayard und den anderen Soldaten der Patrouille. Sie befanden sich in einem kleinen Tal mit felsigen und bewaldeten Hängen sowie einem Bachlauf, der sich durch die Talsohle schlängelte.
Während alles absaß, wies Robb auf den rissigen Stamm einer Kastanie und den rötlich verfärbten Wurzelbereich. „An den Baum haben sie ihn gebunden. Das Blut ist in den Boden gesickert.“
Bayards Blick folgte dem ausgestreckten Finger des Fährtenlesers hin zu den rußgeschwärzten Steinen, wo mal ein Lagerfeuer gebrannt haben musste. Der Regen hatte die Asche fortgewaschen, sodass nun einige nass glänzende Kohlen sichtbar waren. Von außerhalb des Tales, jenseits der Hügel, hätte man dieses Feuerchen niemals bemerkt.
„Da haben sie gelagert“, bemerkte Robb.
Zugesehen hatten sie auch. Einige ganz
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