Himmel, hilf!
Und man kann es ihm nicht verdenken, dachte Shirley. Aber die unbedachte Tat hatte wunderbare Folgen nach sich gezogen, das musste sie zugeben. Auch wenn sie dagegen gewesen war.
“Gibt es noch weitere Fortschritte, die ihr mir berichten könnt?”, fragte Gabriel.
Die drei sahen sich an und zuckten die Schultern.
“Wir haben Matthias besucht. Er wohnt in der Nähe von Seattle”, erzählte Mercy beiläufig, als wüsste Gabriel ohnehin Bescheid. “Im Grunde hasst er Greg immer noch, aber gerade im Moment beschäftigt ihn hauptsächlich die Sorge um den Gesundheitszustand seines Enkels.”
“Ach ja.” Gabriel runzelte wieder die Stirn, diesmal nachdenklich. “Davon habe ich gehört. Hat das Kind nicht Krebs?”
Nickend antwortete Shirley: “Ja, und zwar die gleiche Leukämie-Abart, an der schon seine Großmutter gestorben ist.” Um dem Erzengel deutlich zu machen, dass sie ihre Zeit auf der Erde sinnvoll genutzt hatten, ergänzte sie: “Außerdem haben wir bei Gregs Bruder vorbeigeschaut. Du erinnerst dich an ihn? Phil Bennett.”
“Aber natürlich”, versicherte Gabriel ihnen. “Ich wusste allerdings nicht, dass Goodness eine so passionierte Chorsängerin ist. Sicher meldet sie sich nächstes Jahr freiwillig, um ihr Talent in den Dienst der himmlischen Heerscharen zu stellen. Nicht wahr, Goodness?”
“Äh …” Verzweifelt wartete die Angesprochene darauf, dass Shirley sie aus dieser Klemme befreite. Aber diese fühlte sich nicht in der Stimmung dazu. Dazu war die Episode mit dem Heißluftballon noch zu frisch. Jedes Mal, wenn sie daran dachte, stieg erneut Ärger in Shirley auf. Sicher, der Sekt hatte ihren ersten Zorn einigermaßen besänftigt, aber trotzdem …
“Selbstverständlich übernehme ich mit Freuden jede Aufgabe, die man mir zuteilt”, murmelte Goodness kleinlaut – nicht ohne Shirley einen letzten mitleidheischenden Blick zuzuwerfen.
Gabriel hob eine Augenbraue, als wollte er sagen, dass ihre Bereitschaft ihn überraschte. “Was für ein erfrischender Meinungsumschwung! Bei unserer letzten Begegnung habe ich noch ganz andere Worte aus deinem Mund gehört.”
“Na ja, es gehört nicht gerade zu meinen Lieblingsaufgaben, im himmlischen Chor zu singen”, räumte Goodness hastig ein. “Aber ich werde mein Bestes geben, wo immer ich deiner Meinung nach gebraucht werde.”
Gabriels Miene zeigte deutlich, wie schwer es ihm fiel, ihr Glauben zu schenken. Nach einer unbehaglichen Pause fragte er endlich: “Gibt es noch etwas zu berichten?”
“Nein, nichts.”
“Ganz und gar nichts.”
“Null.”
Eindringlich sah er die drei an. “Also gut, macht weiter. Aber denkt daran, dass Weihnachten schon in drei Wochen ist.”
“Oh ja”, gaben Shirley, Goodness und Mercy einstimmig zurück. Shirley hatte das Gefühl, noch einmal glimpflich davongekommen zu sein. Den Heißluftballon hatte der Erzengel nicht einmal erwähnt.
“Wie nett von dir, bei uns vorbeizuschauen”, sagte Goodness.
Also wirklich – muss sie es immer übertreiben?
Shirley konnte sich nur mit Mühe davor zurückhalten, ihrer Kollegin kräftig auf den Fuß zu treten.
“Oh ja”, stimmte Mercy zu, “du bist jederzeit herzlich willkommen.” Sie unterstrich ihre Worte mit einem Winken.
Es war ein Wunder, dass die spannungsgeladenen Blicke, die Shirley auf ihre beiden Freundinnen abschoss, deren Haare nicht zum Kräuseln brachten.
Endlich wandte Gabriel sich zum Gehen. Doch abrupt drehte er sich noch einmal um. “Ich wusste gar nicht, dass ihr eine Schwäche für Sekt habt.”
Keine der drei wagte es, darauf auch nur ein Wort zu äußern. Shirley schluckte schwer. Bestimmt würden sie den Rest ihrer Tage damit verbringen, auf einer Wolke zu sitzen und Harfensaiten zu zupfen.
“Ich gehe davon aus, dass euch das Etikett nicht weiter aufgefallen ist, oder?”
Keine Antwort.
“Ja, das habe ich mir schon gedacht”, bemerkte Gabriel. “Es handelte sich um einen Sekt von Bennett Wines. Greg Bennett ist ein talentierter Winzer. Es wäre schade, wenn er sein Weingut verlieren würde, meint ihr nicht auch?” Damit entschwand Gabriel in himmlische Sphären, ohne ihnen die Gelegenheit zu geben, noch etwas zu erwidern.
Greg Bennett besaß eine tief sitzende Abneigung gegen den Geruch nach Desinfektionsmittel in Krankenhäusern. Auch nun schien ihn die Wolke überwältigen zu wollen, sobald sich die Glastüren des San Francisco General Hospital öffneten. Vermutlich hatte dieser Widerwille etwas mit der
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