Himmel uber Langani
Vater sei ein Krimineller, ein gewalttätiger Mann, und niemand wollte ihr sagen, was er getan hatte. Wenn Marina Recht hatte, wie konnte Ma dann bei ihm bleiben? Wie konnte sie in seinem Bett schlafen, am selben Tisch mit ihm sitzen? Hannah hatte zunächst geglaubt, dass Camillas Mutter aus persönlichen, bösartigen Gründen gelogen hatte. Doch als sie ihrem Vaters ins Gesicht geblickt hatte, war ihr tief in ihrem Inneren klar geworden, dass er etwas sehr Schlimmes getan hatte. Und sie hatte Angst. Angst vor ihm, Angst um ihn und um sie alle. Was würde das alles letztendlich aus ihnen machen? Und nun hatte sie so schreckliche Dinge über Piet zu ihrer Mutter gesagt. Dabei liebte sie ihren Bruder wirklich sehr. Warum konnte sie diese zerstörerische Eifersucht nicht abschütteln und sich für ihn freuen?
Sie sehnte sich nach Sarah. Sarah hätte sie aufgeheitert – sie verstand es immer, die Leute zum Lachen zu bringen. Mein Gott, sie vermisste ihre Freundinnen so sehr, fragte sich oft, was sie gerade machten. In ihrem letzten Brief hatte Sarah sich über ihre Dozenten und Kommilitonen empört, über das irische Wetter geklagt und Hannah beneidet, weil sie im Busch sein durfte, wo ihr die tropische Sonne auf den Rücken schien, wo sie Mangos essen konnte und die Luft nach wilden Tieren roch. In Dublin, so schrieb Sarah, wisse niemand, was eine Mango oder Papaya sei. Welche Ignoranz! Sarah hatte ihr auch mitgeteilt, dass sie an Ostern nach London reisen und sich mit Camilla treffen würde, die dort mit berühmten Leuten verkehrte und nun, da Bilder von ihr in Magazinen und Zeitungen erschienen, selbst ein Star war. Und sie hofften, auch Piet zu treffen, wenn er es einrichten konnte, von Schottland nach Swinging London zu kommen. Sarah wollte sich die Carnaby Street anschauen und die Nachtclubs besuchen, in denen Gruppen wie die Rolling Stones ihre Karriere begonnen hatten.
Hannah lächelte unwillkürlich. Sarahs spitz zulaufende Handschrift flog über die Seiten ihrer Briefe, als hätte ihr Füller Schwierigkeiten, mit ihren hervorsprudelnden Gedanken Schritt zu halten. Piet war ein Dummkopf – er verzehrte sich nach Camilla, obwohl er doch nur mit dem Finger schnippen brauchte, um Sarah für sich zu haben. Warum ließen sich solche Dinge nicht auf eine einfache, unkomplizierte Weise lösen? Sie fragte sich, ob Tim ihr jemals schreiben würde. Sarah hatte ihr erzählt, dass er sich mehrere Male nach ihr erkundigt hatte. Hannah hatte erwidert, er solle sie doch selbst fragen, wenn es ihn interessiere, wie es ihr ging. Aber mittlerweile war er Arzt und arbeitete rund um die Uhr, also hatte er wahrscheinlich keine Zeit, ihr zu schreiben. Außerdem war er mit einer Krankenschwester aus der Klinik befreundet, aber Camilla hatte kurzen Prozess mit ihr gemacht, was immer das auch heißen mochte. Camilla war natürlich viel zu beschäftigt mit ihrem neuen Leben, um Briefe zu schreiben. Eine Zeit lang hatte sie Postkarten mit Fotos all der exotischen Orte geschickt, die sie besuchte, aber die Botschaften auf der Rückseite waren nur vage und kurz gewesen.
Der Gedanke an die Broughton-Smiths erweckte wieder Abneigung in ihr. Man sagte ja, wie der Vater so der Sohn. Wem glich Camilla wohl? Ihr Vater schien ein anständiger Mensch zu sein, aber ihre Mutter war eine bösartige Hexe! Wäre Camilla vor all den Jahren nicht mit Sarah auf die Farm gekommen, wäre das alles vielleicht nicht passiert. Nein, das war nicht fair. Was immer Pa auch getan hatte – früher oder später wäre es ohnehin ans Tageslicht gekommen. Aber sie wünschte, es wäre nicht die Mutter ihrer Freundin gewesen, die so viel Leid über die Familie gebracht hatte. Und George Broughton-Smith hatte nichts unternommen, um ihnen zu helfen, obwohl er in London wieder einen einflussreichen Posten hatte. Sarah sagte, er arbeite immer noch mit der kenianischen Regierung zusammen. Ob er Piet helfen könnte, wenn es zu einer weiteren Kraftprobe bei der Landverteilung kommen sollte? Würde er es wissentlich ignorieren, wenn die neue Regierung die Farm enteignen und das Land an die Einheimischen verteilen würde?
Ihre Gedanken kehrten immer wieder zu Langani zurück, und sie fragte sich, was dort im Augenblick geschah. Vor ihrer Abreise hatte Pa einen jungen Verwalter aus Norwegen eingestellt. Der Mann schien seine Arbeit gut zu machen, seit ihr Bruder in Schottland war. Zumindest behauptete Piet das. Aber er würde ihr es auch nicht erzählen, wenn es nicht so
Weitere Kostenlose Bücher