Himmel un Ääd (German Edition)
viel sie wollte, ich brauchte jetzt Kaffee, sonst würde ich
hier zum medizinischen Notfall werden. So packte ich sie unter dem Arm und zog
sie in Richtung »Café Vreiheit«. Unterwegs rief ich Arîn und Eva an. Ich las
Eva die Namen und Telefonnummern aus dem Reservierungsbuch vor und bat sie, den
Gästen für heute und morgen abzusagen. Auch beim Metzger stornierte ich die
Bestellungen. Ich funktionierte wie am Schnürchen.
»Einen großen
Milchkaffee«, rief ich der Bedienung schon von der Wallstraße her zu, bevor ich
Irmchen zum letzten freien der drei Außentische direkt vor dem Eingang lotste.
»Einen
Sechsämtertropfen«, rief diese der Bedienung hinterher.
»Jetzt sind sie alle
tot«, raunte mir Irmchen zu, als wir beide saßen, und krallte ihre Hand in
meinen Arm. »Wie Pech hat das Unglück an jedem Familienmitglied geklebt. Aber
das Pech ist mit den Mombauers nicht aus dem Haus gegangen, das hat sich wie
ein Parasit neue Wirte gesucht und uns gefunden.«
Ich sehnte den
Kaffee herbei, hörte Irmchen nur mit halbem Ohr zu und überlegte, was es noch
zu regeln galt. Denn Regeln war schön, man konnte etwas tun, man war
beschäftigt, man musste nicht nachdenken.
»Nur an Tommi ist
immer jedes Pech abgeperlt«, sinnierte Irmchen weiter und griff eilig nach dem
Schnapsglas, das ihr die Bedienung vor meinem Kaffee brachte. »Mit seinen
schönen Augen hat der allen den Kopf verdreht, besonders Sabine. Der Junge war
ihr Ein und Alles! Als Kind hat sie ihre Sparbüchse für ihn geplündert. Ich
weiß nicht, was sie ihm später noch alles zugeschustert hat.« Sie pausierte nur
kurz, um das Glas anzusetzen und den ersten Schluck zu nehmen, dann redete sie
sofort weiter: »Der ist nur auf Dolce Vita aus. Ein fauler Hund, ein
aufgeplusterter Windbeutel, so einer ist das. Auf den hätte das Unglück
springen müssen, nicht auf uns.« Irmchen leerte das Glas, als würde sie Wasser
trinken, und bestellte sofort einen neuen Sechsämtertropfen, als endlich mein
Kaffee kam. »Ich geh nicht aus dem Haus raus. Ich geh nicht ins Altersheim.«
Mit Trotz und
eisernem Willen in der Stimme wiederholte sie die zwei Sätze immer wieder. Aber
ich konnte sie nicht von diesen Übeln erlösen, dafür half mir der erste Schluck
Kaffee gegen das Umkippen. Ich trank gierig die halbe Tasse leer und merkte,
wie wohltuend das Koffein durch meine Blutbahnen gurgelte und sofort den Blick
für das Treiben auf der Straße weitete.
Zum kleinen
Biergarten gegenüber und zum Turm der Friedenskirche daneben, dem in
freundlichem Gelb gestrichenen Wahrzeichen Mülheims. Die erste protestantische
Kirche auf Kölner Stadtgebiet, die letztes Jahr ihr vierhundertjähriges
Bestehen feiern konnte. Bei vielen Veranstaltungen zu diesem Fest hatte
Irmchens Frauenkreis die Verpflegung übernommen. Kaum hatte ich das Wort
»Frauenkreis« gedacht, da dämmerte mir eine Lösung für Irmchens Problem. Sicher
würde sie bei der einen oder anderen aus dem Kreis für ein paar Tage wohnen
können. Schon wieder etwas, was ich regeln konnte.
Irmchen reagierte
zuerst nicht begeistert, aber nach einigem Hin und Her legte sie die Namen von
drei Frauen auf den Tisch, bei denen sie sich vorstellen konnte, für ein paar
Tage Asyl zu finden. Die telefonierten wir durch, bei allen war sie herzlich
willkommen. Irmchen entschied sich für Käthe, die im Hochparterre auf der
Mülheimer Freiheit, keine fünf Minuten Fußweg von unserem Haus entfernt,
wohnte. Käthe kam zehn Minuten später vorbei.
Ich ließ die
beiden alten Damen mit weiteren Sechsämtertropfen allein und hetzte mit einer
langen Liste von Dingen, die Irmchen aus ihrer Wohnung brauchte, zur »Weißen
Lilie« zurück.
Auf der Straße vor
dem Haus herrschte kein Auflauf mehr, von Feuerwehr und THW war außer deren Autos nichts zu sehen. Nur ein paar Altenheimbewohner harrten
hartnäckig mit ihren Rollatoren aus. Brandmeister Angermann befand sich in
Mombauers Wohnung, als ich ihn anrief, aber er wollte herunterkommen, um mit
mir zu reden. Als er durch die Tür trat, näherten sich die Senioren dem
Feuermann sofort, zogen sich aber zurück, als dieser den Kopf schüttelte. So
erfuhr auch ich, bevor Angermann den Mund aufmachte, dass die Schlange noch
nicht gefunden war.
Ich lief mit ihm
ein paar Schritte vor dem Haus auf und ab, wie Feldherren dies in Filmen vor
großen Schlachten zu tun pflegten, und zumindest Angermann kam mir auch ein
wenig wie ein kleiner Feldherr vor. In der Mombauer'schen Wohnung
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