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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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sie hervorzuspringen wie Palastwachen, wie fröhliche Speerkämpfer.
    »Sie hatte ja schon immer Schwierigkeiten mit den Zähnen«, sagten die Tanten. »Dann der Abszess, wisst ihr noch, das Gift hatte sich in ihrem ganzen Körper ausgebreitet.«
    Wie sah ihnen das ähnlich, dachte ich, Alfridas Witz und Stil beiseite zu tun und ihre Zähne zu einem traurigen Problem zu machen.
    »Warum lässt sie sich nicht alle ziehen und fertig?«, sagten sie.
    »Wahrscheinlich kann sie sich’s nicht leisten«, sagte meine Großmutter und überraschte damit alle, wie sie es manchmal tat, indem sie zeigte, dass sie der Unterhaltung die ganze Zeit gefolgt war.
    Und überraschte mich mit dem neuen, gleichsam alltäglichen Licht, das dadurch auf Alfridas Leben fiel. Ich hatte geglaubt, Alfrida sei reich – zumindest im Vergleich zur übrigen Familie. Sie lebte in einer Wohnung – die ich nie gesehen hatte, aber dieser Umstand vermittelte mir die Vorstellung von einem sehr kultivierten Leben –, und sie trug Kleider, die nicht selbst geschneidert waren, und ihre Schuhe waren nicht die Schnürhalbschuhe, wie alle anderen erwachsenen Frauen, die ich kannte, sie trugen, sondern Sandaletten mit knallbunten Riemchen aus dem neuen Kunststoff. Es ließ sich schwer sagen, ob meine Großmutter einfach in der Vergangenheit lebte, in der ein Gebiss die krönende, die letzte große Anschaffung war, oder ob sie wirklich Dinge über Alfridas Leben wusste, auf die ich nie gekommen wäre.
    Die übrige Familie war nie anwesend, wenn Alfrida zu uns zum Essen kam. Sie besuchte allerdings auch meine Großmutter, die ihre Tante war, die Schwester ihrer Mutter. Meine Großmutter lebte nicht mehr in ihrem eigenen Haus, sondern wohnte abwechselnd bei der einen oder der anderen der Tanten, und Alfrida suchte jeweils das Haus auf, in dem sie gerade wohnte, jedoch nicht das andere Haus, um bei der anderen Tante vorbeizuschauen, die im selben Verwandtschaftsverhältnis zu ihr stand wie mein Vater. Und zum Essen ging sie zu keiner von beiden. Meistens kam sie zuerst zu uns zu Besuch und blieb ein Weilchen, dann raffte sie sich nahezu widerwillig auf, um den anderen Besuch abzustatten. Wenn sie später zurückkam und wir uns zu Tisch setzten, sagte niemand offen etwas Abfälliges über die Tanten und ihre Ehemänner und schon gar nichts Respektloses über meine Großmutter. Eigentlich war es die Art und Weise, in der Alfrida von meiner Großmutter sprach – die plötzliche Nüchternheit und Anteilnahme in ihrer Stimme, sogar eine Spur von Besorgnis (was war mit ihrem Blutdruck, war sie in letzter Zeit mal beim Arzt, was hatte der gesagt?) –, die mich auf den Unterschied aufmerksam machte, auf die kühle oder vielleicht unfreundliche Zurückhaltung, mit der sie sich nach den anderen erkundigte. Dann war in der Antwort meiner Mutter eine ähnliche Zurückhaltung zu spüren und in der meines Vaters ein besonderer Ernst – gewissermaßen eine Karikatur von Ernst –, die zeigten, dass sich alle über etwas einig waren, was sie nicht aussprechen konnten.
    An dem Tag, an dem ich die Zigarette rauchte, beschloss Alfrida, es noch ein wenig weiter zu treiben, und sie sagte todernst: »Was macht denn Asa? Ist er immer noch ein so unterhaltsamer Plauderer?«
    Mein Vater schüttelte traurig den Kopf, als müsse der Gedanke an die Beredsamkeit dieses Onkels uns alle bedrücken.
    »Doch«, sagte er. »Das ist er.«
    Dann ergriff ich die Gelegenheit beim Schopf.
    »Wie’s aussieht, ham die Schweine wieder Spulwürmer«, sagte ich. »Mist.«
    Bis auf »Mist« war das genau das, was mein Onkel gesagt hatte, und zwar an ebendiesem Tisch, überwältigt von einem für ihn untypischen Bedürfnis, das Schweigen zu brechen oder etwas Wichtiges weiterzugeben, das ihm gerade in den Sinn gekommen war. Und ich sagte es mit genau seinen bedächtigen Achzern, seiner unschuldigen Ernsthaftigkeit.
    Alfrida stieß ein lautes, beifälliges Lachen aus und zeigte ihre fröhlichen Zähne. »Ja, stimmt, sie hat ihn genau drauf.«
    Mein Vater beugte sich über seinen Teller, als wollte er verbergen, wie sehr auch er lachen musste, aber er konnte es natürlich nicht ganz verbergen, und meine Mutter schüttelte den Kopf und biss sich lächelnd auf die Lippen. Für mich war es ein überwältigender Triumph. Nichts wurde gesagt, um mich in die Schranken zu weisen, kein Tadel für das, was manchmal mein Sarkasmus genannt wurde, wenn ich wieder einmal »schlau« war. Das Wort »schlau«

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