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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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ich, breche ein Stück ab und reiche es Renfer weiter. »Niemand kann Brot backen wie die Franzosen. Man bricht es auseinander, das Knacken, als würde ein Baum gefällt, dann der Duft, dieser warme, puderige, säuerliche Duft, der den ganzen Raum erfüllt. Und schließlich hält man es in der Hand, das Stück Baguette, dieses luftige, lichtscheue Innenleben, eigentlich nichts als duftende Luftbläschen, sanft wie ein Kissen, umschlossen von einer Rinde aus Muschelstücken. Wäre ich nicht Banker geworden, dann Bäcker.«
    Renfer spielt mit seinem Mineralwasser.
    »Wein?« frage ich schließlich.
    Renfer winkt höflich ab, hält seine Hand übers Glas. »Ich bin im Dienst.«
    Dann halt nicht. Ich fülle Josephines Glas, dann meines.
    »Also gut, aber nur zum Anstoßen«, sagt er. Wir stoßen alle drei an.
    »Dabei habe ich gemeint, es handle sich um eine wirkliche Entführung.« Er lacht und schüttelt den Kopf. »Das kann man ja nie wissen, von außen gesehen, wissen Sie. Ich habe das Video vom Abflugterminal in Zürich nicht gesehen. Die Einsatzleitung der Zürcher Kantonspolizei alarmierte uns, weil es offenbar wie eine Entführung aussah auf dem Video, aber Sie können sich ja denken, diese Qualität, dieses schwarzweiße Zucken auf dem Bildschirm, manchmal, da kann man gar nichts drauf erkennen. «
    Wir bestellen: Renfer ohne Vorspeise, Josephine und ich mit - Escargots, beziehungsweise Salade au chevre chaud.
    Einen Augenblick später entschließt sich Renfer doch noch für eine Zwiebelsuppe als Entree.
    »Leider hatten Sie den Zoll in Genf schon lange passiert, als man uns alarmierte. Durch unsere Verbindungen mit französischen Sicherheitsdiensten haben wir Sie schließlich wieder aufgespürt - wenn auch erst heute, drei Tage später. Aber das spielt jetzt alles keine Rolle mehr. So ein Mißverständnis.«
    Seit er weiß, wer wir sind, insbesondere seit er denkt, Josephine wäre meine Frau, also eine Vertraute der Bank, kommt er nicht mehr aus dem Erzählen heraus. Er tischt eine Geschichte nach der anderen auf, seine Arbeit betreffend - vom einfachen Bleistiftklau im Büro bis zur Computerspionage, vom Drogendeal unter dem Kantinentisch bis zum ausgewachsenen und durch seine Aufmerksamkeit vereitelten Bankraub. Er erzählt und erzählt, und Josephine scheint von seinen Geschichten ganz angetan zu sein. Er ist wirklich ein attraktiver Bursche, groß und kräftig, seine ruhige, glatte, gesunde Farbe im Gesicht, ein Gesicht mit jungen, kantigen Zügen, hellen, aufmerksamen Augen und mit zum perfekten Spitz rasierten, dichten Backenbärtchen. Dazu seine meisterhaft entwickelte Gestik - seine Hände haben die Tendenz, vorwegzunehmen, was erst noch in Worte gefaßt werden will. Ich weiß nicht, warum der Junge mich unsicher macht, ich beobachte dies immer wieder an mir; sobald junge Leute im Spiel sind, muß ich mich beherrschen, um nicht meine zweiundvierzigjährige Erfahrung wie einen Bauchladen auszubreiten, nein, ich versuche dann zuzuhören, was ein Junger so alles zu berichten hat, und bin erstaunt, wieviel man als schätzungsweise Fünfunddreißigjähriger schon gesehen hat, daß man das meiste schon erlebt hat und daß der noch nicht erlebte Teil jener ist, der höchstens trockenes Schlucken auslöst, daß das zusätzliche Alter wie schlecht hingeworfener Mörtel einfach von der Mauer abfällt und auf dem Boden ein dunkles, nasses, ekelhaftes Häuflein hinterläßt, gerade gut genug, um von vorbeistreunenden Hunden angepinkelt zu werden.
    »Eine Entführung, das wäre was gewesen«, meint er schließlich, nicht ohne dem faszinierenden Gedanken durch eine etwas zu lang geratene Pause ein Stück Enttäuschung beizumischen. »Aber ich bin froh, daß Sie wohlauf sind.«
    Der Hauptgang wird serviert, und Renfer nimmt seine Berichterstattung über sein junges Leben wieder auf, dabei scheint er nur noch zu Josephine zusprechen, die ebenfalls jung ist. Und statt über den Sinn und Unsinn eines jungen Lebens nachzudenken, beobachte ich Josephine, wie sie lauscht.
    »Wieso mit Sprengstoff?« höre ich sie sagen.
    Jetzt lachen sie beide. Ihr Gesicht, ihre Augenbrauen - pechschwarze Pinselstriche, mitteldick angesetzt und sich allmählich verjüngend, eine sinnliche, ja packende Form, deren Schweife über ihren Pupillen etwas unerwartet abknicken. Es ist dieser Knick, der sie so fordernd macht, so keck, aber auch unlesbar, denke ich und muß schmunzeln. Was hast du? Josephines wortlose Frage. Ich zucke die Schultern,

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