Himmelreich
Filz-haarplatten ausgelegten Raum, an dessen Wänden romanische Hochblüte im Posterformat gefeiert wird - die Poster sind, teils etwas schief, mit verschiedenfarbigen Stecknadeln hingepinnt, und wo die bunten Stecknadeln ausgegangen sind, helfen unschön hingeklebte Scotch-Bänder -, in diesem Tourist Office also, in dem ein Gedränge von vorwiegend alten Männern herrscht, weil die Dame, die es betreibt, ihren staatlich bezahlten Internetanschluß dem ganzen Kaff zur Verfügung stellt, erhalten wir mindestens zehn verschiedene Antworten, Josephines Kirche betreffend. Schließlich findet die Frau doch noch eine Broschüre - auf englisch -, und dort ist nirgends von der ältesten Kirche die Rede, sondern nur von sehr alten.
»Muß es denn die älteste sein?« frage ich Josephine, als wir das Tourist Office verlassen. »Genügt dir denn diese zum Beispiel nicht?« Ich zeige, aus Mangel an Alternativen, auf die Kirche gegenüber.
Ich bin dankbar für Kirchen. Einen Kirchturm zu sehen, auch aus der Ferne, bedeutet für mich jedesmal, ein Stück Heimat zu sehen. Dabei bin ich protestantisch erzogen worden. Sonntagsschule in einem Gebäude, das mehr einem Bunker als einer Kirche glich - Gußbeton-Architektur der 50er Jahre -, mit einem schlichten, Futtersilo-ähnlichen Kirchturm ebenfalls aus Beton, an dessen oberem Ende winzige quadratische Öffnungen auf die Existenz eines Glockenstuhls hinzuweisen versuchten. Ohne diese Aussparungen wäre ihr Schall im Betonturm gefangengeblieben, und die Glocken hätten nur für sich selbst geläutet. Der Neid auf meine katholischen Mitschüler. Die durften in eine mit Putten behängte Barockkirche - Jesuitenkirche, späteres 17.Jh. - mit einer Decke im hellen Farbton von Zuckerwatte. Unsere protestantische Kirche hingegen war eine einzige Enttäuschung: ein Raum wie ein Wohnzimmer, weit, aber nicht besonders hoch, hell, mit Stühlen, die man beliebig umherschieben konnte, kein Jesus, keine Muttergottes, nirgendwo auch nur ein winziges Engelchen, die Wände weiß verputzt, ab und zu hing ein handgeknüpfter, scheußlich bunter Wandteppich an dieser Kirchenwohnwand, aus einem Drittweltland, das zu unterstützen man sich gerade entschlossen hatte. Spannteppich. Kein Nachhallen von Schritten oder Worten oder Klängen. Ein Orgelton hörte auf, sobald der Organist die Finger von der Taste nahm. Wenn Gott hier zu finden wäre, überlegte ich mir, dann wäre er in jedem Schuhladen zu finden. Es gibt Stauseen, auch in der Schweiz, die aus gefluteten Tälern und Ortschaften bestehen, aus denen, bei tiefem Pegelstand, eine Kirchturmspitze ragt. Solche Stauseen sind mir sympathischer als Stauseen ohne Kirchengehalt. Das ist nicht vernünftig, ich weiß. Kirche, das hat für mich nichts mit Religion zu tun. Ich kann einen Gott annehmen, ohne eine Kirche annehmen zu müssen. Ansonsten sind Kirchen für mich Oasen der Ruhe, die genausogut von einem Konzern geführt werden könnten. Ich wäre bereit, eine Benutzungsgebühr zu entrichten, jedesmal wenn ich eine Kirche bräuchte zwecks innerer Sammlung.
Ich setze die ganze Kraft meiner Schultern ein, damit sich die andorranische Kirchenpforte öffnet. Drinnen, als hätte man uns ein schwarzes Tuch über den Kopf geworfen. Das Flackern von Kerzen für die Toten, das ewige Licht, ansonsten Finsternis. Geruch von Weihrauch, Wachs, Ruß. Diese Dichte an Mysterium. Grabesstille. Allmählich gewöhnen sich unsere Augen an die Dunkelheit. Ich bleibe neben dem Weihwassergefäß beim Eingang stehen und beobachte Josephine, wie sie den rechten Seitengang entlang nach vorne schreitet, langsam, in der Haltung großer Erwartung. Das Klacken der Absätze ihrer Stiefel, die ihre gewandten Beine höchst vorteilhaft zur Geltung bringen. Dann bleibt sie neben einer der vordersten Reihen stehen, kniet sich hin, schlägt das Kreuz und setzt sich zum Gebet. Ich beneide Glaubende.
Nach zehn Minuten oder so - ich inspiziere unterdessen die Säulen (kein Michelangelo!) - steht sie auf. Der flatternde Widerhall ihrer Schritte zwischen den Säulen.
»Ich muß beichten«, flüstert sie mir ins Ohr.
»Beichten? Nach einem so ausgiebigen Gebet?«
»Ich weiß nicht - es ist mir irgendwie nicht recht, was wir hier anstellen - der Autoklau, die Lösegeldforderung, überhaupt die ganze Entführung.«
»Ach, wo denkst du hin. So schlimm ist es doch nicht.«
»Es ist unverschämt. Es ist hinterlistig. Es ist falsch.«
»Nur ein Spiel, eine Phantasie, eine kleine Improvisation
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