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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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tatsächlich Augen tragen wie in Katalonien.
    Lerida, Spanien, weil man uns hier nicht vermuten wird - wir meiden Barcelona. Es wird Zeit, das Auto zu wechseln. Die Interpol wird uns auf den Fersen sein, besonders nach der unsinnigen Lösegeldforderung. Weiß man um die unzähligen Videokameras an jeder Kreuzung, an jeder Tankstelle, an jeder Ein- und Ausfahrt, ist es reiner Zufall, daß sie uns noch nicht geschnappt haben - »dich nicht geschnappt haben«, korrigiere ich, »du bist die Entführerin«. Der erste Autohändler bietet 4000 Euro für den VW-Bus, der zweite 5200 Euro, aber nur gegen Vorlage sämtlicher Papiere. Bei einem dritten tauschen wir ihn (ohne Papiere) gegen einen zerbeulten, aber fahrtüchtigen Jeep Cherokee (ebenfalls ohne Papiere). Viel Gepäck haben wir nicht, zwei Trolleys und meine Aktentasche samt Organgramm der Manhattan Finance Corporation. Was tun mit Ulysses? Als Buchhändlerin kann sich Josephine nicht von Büchern trennen, nicht einmal von Ramsch; wir laden die Kisten um. Wir sind wieder autobahntauglich.
    Bedürfnis nach frischen Unterhosen.
    Übrigens rechne ich fest damit, daß wir in den nächsten Tagen gefaßt werden. Zu Hause hätte ich wieder frische Hemden, gebügelt, gestärkt, statt dieser verschwitzten Lumpen. Selbst der Nadelstreifenanzug ist mittlerweile zerknittert wie Echsenhaut. Noch drei Tage, vielleicht vier.
    Das sage ich ihr nicht.
    Meine Vermutung, daß sie ebenfalls um die Ausweglosigkeit dieser Fahrt ins Blaue weiß, es aber verschweigt, um nicht vor der Wirklichkeit zu verbluten.
    In jeder Nacht lieben wir uns mit dem Bewußtsein des letzten Mals.
    In jeder Nacht reiße ich ihr die Kleider vom Leib wie die Zettel eines Kalenders.
    Je weiter wir nach Spanien hineinkommen, desto unwirtlicher das Land. Aufgesprungene Ebenen, an den Bruchstellen roter Fels, Erosion sichtbar gemacht, Pfade, die durch ausgetrocknete Flußtäler führen. Eigentlich eine Wüste. Was hier wächst: Gebüsch, einzelne Stauden, Bäume, vom Wind zerzaust. Ab und zu ein Dorf, ein Dutzend Steinhäuser, eine Kirche, eine staubige Straße, die hineinführt, und eine staubige Straße, die hinausführt. Vor wenigen Jahren hätte man hier noch Schafherden gesehen - heute gibt es nicht einmal mehr das. Die Jungen sind in die Städte geflüchtet. Land, das nur noch als Distanz im Weg steht. Autobahnland. Es bräuchte Milliarden von Subventionsgeldern, um hier wieder etwas zum Leben zu erwecken.
    Einzelne Olivenhaine, zu klein für die industrielle Produktion, verstreut, unregelmäßig und abgelegen. Niemand wird hier die Oliven ernten, und was fällt, fällt auf unfruchtbaren Boden. Glut über der Ebene. Wir fahren von Benzintank zu Benzintank, Distanz vernichtend. Distanz wohin?
    Josephine von der Seite betrachtet: eigentlich ein vergnügtes Gesicht. Blick geradeaus. Wenn sie fährt, kann sie nicht gleichzeitig reden und den Kopf zur Seite drehen. Entweder sie schaut mich stumm an, oder sie spricht zum Lenkrad. Ansonsten fährt sie wie ein Mann: den Sitz weit nach hinten gestoßen. Ihre Arme sind lang und dünn. Wenn ich mir etwas abschneiden könnte für die Ewigkeit, dann wären es Josephines Arme. Ihr rätselhaftes Haar. Die Wurzeln kommen ein bißchen unregelmäßig aus ihrer Stirn, aber sehr schön. Ihre Stirn ist gewölbt und faltenlos, fest und rund wie eine Kugel. Hinter dem Lenkrad sieht es aus, als würde sie aus Vergnügen vor sich hin summen, dabei summt sie nie, sie singt auch nie, sie verinnerlicht nur, zum Beispiel Musik aus dem Radio, und im Moment konsumiert sie Landschaft. Ich denke: Nichts an dieser Frau ist gestellt oder verlogen, da gibt es kein Fremdbild, das man erst mühsam niederreißen muß.
    Zuerst versuchen wir's in Zaragoza. Es ist 14:30 Uhr, wir finden die Filiale der Banco Espirito Santo geschlossen. Eine ganze Stadt in tiefstem Mittagsschlaf. Wir fürchten uns, eine halbe Stunde lang zu warten - zwei Ausländer, auf die das Profil der Gesuchten haargenau paßt. Wir vermuten Polizisten hinter jeder Ecke. Also schleunigst weiter.
    Ab und zu blicke ich mich um, um sicherzugehen, daß uns niemand folgt, aber die Autos hinter uns wechseln andauernd. Es gibt Autobahnabschnitte, auf denen sind wir ganz allein. Wie in Trance fahren wir eine ganze Siesta lang einfach der weißen Spurenmarkierung nach. Übrigens bin ich der Meinung: Lassen wir das Lösegeld! Schon genug Geschirr zerschlagen ohne die geringste Aussicht, dies je wiedergutzumachen - weder im Geschäft noch mit

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