Himmels-Taler
Gefahr ist.«
»Natürlich ist er in Gefahr! Warum glaubst du etwas anderes?«
»Weil sowohl seine Mutter als auch seine Schwester mit Sicherheit seine Reise im Webteppich verfolgen, und sobald sie glauben, er befände sich in ernster Gefahr, werden sie handeln. Da sie aber offenbar noch nichts unternommen haben, können wir davon ausgehen, daß er auch nicht in Gefahr schwebt.«
Daran hatte Mark noch nicht gedacht, aber es erschien ihm irgendwie vernünftig. Natürlich waren Zentauren immer vernünftiger als andere Leute. »Aber würden sie denn auch nichts unternehmen, um ihn aus der Gefangenschaft zu befreien?« fragte er. »Sie wollen doch sicherlich nicht, daß ein Prinz von Xanth auf alle Zeiten am Meeresboden festgehalten wird!«
»Ich denke, daß sie nicht allzu schnell handeln würden«, meinte Chex. »Entweder lassen sie ihn an einem sicheren Ort, von wo er nicht entweichen kann, bis ihm sein Abenteuer ganz und gar langweilig geworden ist und er ohne jedes Murren mit Freuden nach Hause zurückkehrt; oder sie lassen ihn seine eigene Flucht bewerkstelligen, damit er die nötige Erfahrung und auch das Prestige erlangt, das zu einem Prinzen gehört.«
»Ach so – um ihm erst dann zu helfen, wenn er beim Fluchtversuch in Schwierigkeiten geraten sollte?«
»Ja. Aber vielleicht versucht er ja gar nicht zu fliehen.«
»Versucht nicht zu fliehen! Warum sollte er es nicht versuchen?«
»Laß es mich erklären«, sagte sie im gönnerhaften Ton jener, die eine Angelegenheit offensichtlich gründlicher durchdacht hatten als andere. Das war auch so eine Eigenart der Zentauren, die um so irritierender war, weil sie meistens im Recht waren. »Meerfrauen behalten ihr jugendliches Aussehen sehr viel länger als Meermänner. Und während die Männer sich mit der Zeit immer weniger für Liebschaften interessieren, behalten die Frauen das, was man eine sehr lebhafte Libido bezeichnet. Deshalb suchen sie nur zu oft nach außerehelichen Affären. Da sie sich an Land nicht wohl fühlen, obwohl sie durchaus die Fähigkeit haben, Beine auszubilden und das Ufer zu betreten, suchen sie ihren Trost in der Regel bei Männern der See: Matrosen, Fischer und Besucher. Hat sich eine von ihnen erst einmal auf einen bestimmten Mann fixiert, wird sie nicht länger ruhen, bis sie ihn bekommen hat. Wenn sie ihn dann tatsächlich bekommt, behandelt sie ihn sehr gut. Meerfrauen sind äußerst kompetent in jenen Künsten, die Männern Gefallen bereiten. Tatsächlich erzählt man sich, daß es für einen Mann kaum ein schöneres Schicksal geben kann, als von einer Meerfrau gefangengenommen zu werden, und daß viele angebliche Ertrunkene freiwillig im Wasser geblieben sind. Der Mann möchte seine Geliebte im Meer einfach nicht mehr verlassen. Und da du nun weißt, daß Prinz Dolph von einem solchen Wesen eingefangen wurde, wie willst du dir da sicher sein, daß es ihm dort nicht sehr gut gefällt?«
»Er ist doch erst neun Jahre alt«, erwiderte Mark spitz.
»Meerfrauen sind auch nett zu Kindern; das sind viele wilde Nymphen. Man kennt Fälle, in denen Kinder in Gesellschaft solcher Kreaturen erstaunlich schnell gereift sind. Bis dahin könnte sie ihm viele Dinge geben, die er mag, etwa Spielzeug und Konfekt. Sie könnte ihm eine Seite des Weiblichen zeigen, die er bisher noch nicht zu schätzen gelernt hat. Nein, Kinder sind gegen solche Wohltaten noch empfänglicher als Erwachsene.«
»Aber Dolph befand sich doch auf einer Mission!« protestierte Mark. »Er war auf der Suche nach dem Himmelstaler!«
»Nach dem was?« fragte sie stirnrunzelnd.
Nun erklärte ihr Mark die Sache mit dem Taler. »Du verstehst also, daß er diese Angelegenheit nicht unbeendet lassen will.«
»Ich nehme an, du hast recht«, stimmte Chex ihm zu. Sie war nicht allzu erbaut davon, von einem Nichtzentauren etwas lernen zu müssen. »Er müßte also genug Motivation haben, um seine Suche fortzusetzen. Vielleicht wäre es das beste, einfach abzuwarten und zu sehen, was geschieht.«
Mark überlegte. Sein hohler Schädel war nur schlecht dafür ausgerüstet, es in taktischen Dingen mit dem scharfen Verstand einer Zentaurin aufzunehmen, und doch befriedigte ihr Vorschlag ihn nicht. Warum nicht?
Schließlich hatte er die Sache durchdacht. »Das glaube ich nicht. Ich muß gehen und Dolph retten.«
Chex musterte ihn mit hochgezogener Augenbraue. »Ach ja? Warum denn?«
»Weil er noch ein Kind ist und weil man nicht von ihm erwarten kann, daß er in derlei Dingen
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