Himmels-Taler
aufzubauen, seine Miene wirkte gelassen.
Die Bläser spielten den Hochzeitsmarsch. Auf der gegenüberliegenden Seite öffnete sich ein Gang zwischen den Feiernden, und Chex kam gemessenen Schrittes heran. Wieder mußte Dolph staunen. Sie war völlig verändert. Kaum einen Tag war es her, da hatte er sie als weibliche Zentaurin mit Flügeln kennengelernt, als Marks Freundin. Nun strahlte sie vor Schönheit. Ihre braune Mähne war so gut gestriegelt, daß sie glühte, und sie trug ein Diadem aus leuchtenden Rosen auf dem Kopf, das ihre Augen betonte. Ihre Flügel besaßen dieselbe Farbe wie ihre Augen, so grau wie der bewölkte Himmel, und jede ihrer Federn schimmerte. Ihr Fell glänzte von den Brüsten bis zur Flanke, und in ihrem Schweif hatte sie sogar einen Kranz Vergißmeinnicht eingeflochten. Sogar ihre vier Hufe waren sauber und funkelten wie Spiegel.
Endlich stellte sich Chex neben Cheiron auf. Sie gaben ein vollkommenes Paar ab: Er, der so kühn und stark wirkte, sie dagegen so lieblich und anschmiegsam.
MEINE LIEBEN UND GELIEBTEN LUFTUNGEHEUER, sendete der Simurgh ihnen allen seine Gedanken, WIR HABEN UNS HIER VERSAMMELT, UM DIESEN ZENTAURENHENGST UND DIESE ZENTAURENSTUTE DURCH DAS BAND DER EHE MITEINANDER ZU VEREINEN. NIEMAND HAT EINWÄNDE DAGEGEN VORGEBRACHT. AUS DIESER VERBINDUNG WIRD JEMAND HERVORGEHEN, DESSEN LEBEN DEN LAUF DER GANZEN GESCHICHTE XANTHS VERÄNDERN WIRD, UND IHR ALLE WERDET DIESES WESEN SCHÄTZEN UND VOR SCHADEN BEWAHREN. LASST MICH EUREN EID HIERZU VERNEHMEN.
Plötzlich endete das Schweigen, als jede Kreatur auf dem Plateau zustimmend knurrte. Dolph verstand die Sache nicht ganz, deshalb hielt er sich zurück; wie konnte er sich auf einen Eid einlassen, dessen Auswirkungen er gar nicht kannte?
DU AUCH, PRINZ DOLPH, DU VOR ALLEN ANDEREN, sandte der Simurgh ihm allein seine Gedanken. Der Geist dieses Wesens strahlte die Aura unendlicher Wichtigkeit aus, als bündelten sich die Gezeiten der Geschichte aus der Vergangenheit in die Zukunft und wieder zurück auf unaufhaltsame Weise in diesem Augenblick. Nun wußte er, ohne es zu verstehen, warum der Simurgh gekommen war, um dieser Zeremonie vorzusitzen; sie war für jene Dinge wichtig, die sie allein vollständig begriff.
Wieder wurde Dolph sich der Zeremonie bewußt, die nun fortgesetzt wurde; der Simurgh hatte nicht gewartet, bis seine Gedanken ihrer jungen Bahn gefolgt waren.
… UND WILLST DU, BEZAUBERNDE STUTE, DIESEN HENGST ZUM PARTNER NEHMEN?
»Das will ich«, stimmte Chex zu.
DANN ERKLÄRE ICH EUCH KRAFT JENER MACHT, DIE MIR DURCH DAS ZUTEIL GEWORDEN IST, WAS ICH BIN, ZU EINEM PAAR. KÜSST EUCH.
Pflichtschuldigst umarmten Braut und Bräutigam einander und küßten sich. Die versammelten Ungeheuer zollten donnernden Applaus.
Der Simurgh breitete die Flügel aus und hob ab. Einen Augenblick später flog sie bereits hoch am Himmel, im nächsten verschwand sie auch schon in Richtung Horizont.
VERGISS ES NICHT, GUTES KIND, erreichte Dolph ihr Abschiedsgedanke. Er wußte, daß er es nicht vergessen würde, aber könnte er diese Worte auch jemals verstehen?
Dann lösten Cheiron und Chex sich voneinander, und eine Harpyie erhob sich. Zu seiner Überraschung sah Dolph, daß es sich um ein männliches Exemplar der Gattung handelte; so etwas hatte er noch nie gesehen.
»Vor Beginn der Feierlichkeiten bitte ich noch kurz um eure Aufmerksamkeit«, rief der Harpyienhahn. »Ich bin Hardy Harpyie, und ich bin hier, um meine Tochter Gloha vorzustellen, die die Geschenke ansagen wird.«
Nun schwang sich das Kind in die Lüfte. Es war ein schönes kleines Koboldmädchen mit den Schwingen eines Vogels. Ein flugfähiger Mischling, daher ein Flügelungeheuer, obwohl man sich kaum etwas weniger Ungeheuerliches hätte vorstellen können. Gloha – Dolph kramte in seinem Gedächtnis, bis ihm wieder einfiel, daß es mal einen Romanze zwischen Harpyienhahn und Koboldfrau gegeben hatte, die beinahe einen Krieg ausgelöst hätte. Das Koboldmädchen war Gloria gewesen, aus der Verbindung von Gloria und Hardy war also Gloha hervorgegangen.
»Als erstes«, piepste Gloha nervös, »vom Simurgh: Drei Samen.« Sie atmete tief ein und schien den Faden verloren zu haben, denn Hardy mußte ihr etwas ins Ohr flüstern. »Ach, ja: bitte den Umschlag.«
Ein geflügeltes menschliches Skelett trat mit einem Samenpäckchen in der Hand vor. Er reichte es Gloha, die es öffnete und hineinspähte. »Die Samen des Lebens, der Liebe und des Lernens«, sagte sie und
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