Himmelsdiebe
du Hilfe brauchst, zögere nicht. Du kannst immer auf mich zählen. Egal, was passiert.«
25
Harry hatte das Cabriolet vor dem Eingang eines Bistros geparkt, am Stadtrand von Marseille. Schon vor einer halben Stunde hatte er ein Ferngespräch angemeldet, aber das Fräulein vom Amt hatte immer noch nicht geantwortet. Während er neben dem Telefon am Tresen wartete, hielt er durch die offene Tür den Wagen draußen im Auge. Vor dem Lokal schlich jede Menge Gesindel herum, und Autos waren in diesen Zeiten heiß begehrt, wie Harry aus eigener Erfahrung wusste. Vor allem schicke Cabrios.
Endlich meldete sich das Fräulein vom Amt. Die Verbindung war da.
»Vermissen Sie zufällig Ihr Auto?«, fragte Harry ohne Gruß in die Sprechmuschel hinein.
Maître Simon erkannte sofort seine Stimme. »Sie haben tatsächlich die Stirn, mich anzurufen, Sie gottverdammter boche ?«
»Bitte beruhigen Sie sich«, erwiderte Harry. »Oder plagt Sie das schlechte Gewissen?«
»Schlechtes Gewissen? Ich habe meinen Arsch riskiert, um Ihnen zu helfen. Und zum Dank stehlen Sie mein Auto!«
»Oh, Sie wissen bereits, dass ich es war?«
»Das war keine Kunst. Wer außer Ihnen wäre sonst so blöd, in mein Haus einzubrechen, nur um ein vollkommen wertloses Bild zu stehlen?«
Harry ignorierte die Beleidigung. »Irgendwie musste ich mich doch revanchieren«, sagte er.
»Ic h … ich verstehe kein Wort.«
»Geben Sie sich keine Mühe, Maître Simon. Ich weiß genau, was Sie getan haben, Sie und Lulu. Sie haben Lauras und mein Vertrauen missbraucht, um sich unser Haus unter den Nagel zu reißen. Das war Betrug! Ich denke, darauf steht auch in Frankreich Gefängnis.«
Der Notar antwortete mit einem dreckigen Lachen. »Wollen Sie mir etwa drohen? Sie hoffnungsloser Spinner! An Ihrer Stelle würde ich lieber beten, statt das Maul so aufzureißen. Ich habe den Wagen zur Fahndung ausschreiben lassen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Polizei Sie schnappt. Und dann heim ins Reich!«
»Ich glaube nicht, dass das in Ihrem Interesse wäre. Oder wollen Sie Ihr schönes Cabrio nicht wiederhaben? Ich habe mir erlaubt, das Nummernschild künstlerisch aufzuwerten. Die Polizei kann lange suchen. Ich habe auch schon ein paar Käufer an der Hand.«
»Sie verfluchtes Arschloch, Sie!«
»Oh, welche Ehre! Ich dachte, ich wäre nur ein gottverdammter boche ? Aber Schwamm drüber! Wenn Sie so freundlich wären, sich zu beruhigen, will ich Ihnen ein Geschäft vorschlagen.«
»Ein Geschäft?« Eine Weile hörte Harry nur das Rauschen in der Leitung. »Also gut, sprechen Sie.«
»Die Sache ist ganz einfach. Ihr Auto gegen meine Bilder.«
»Wie bitte?«
»Ich brauche meine Bilder, hier in Marseille. Eine amerikanische Kunstsammlerin interessiert sich für mein Werk.«
»Was? Für das Geschmiere? Das glauben Sie doch selber nicht!«
»Debbie Jacobs heißt die Dame. Vielleicht haben Sie den Namen schon mal gehört. Die Familie ist ja nicht ganz unbekannt.« Harry machte eine Pause, um den Triumph auszukosten. Dann sagte er: »Also, wenn Sie sich bereit erklären, mir die Bilder zu schicken, verrate ich Ihnen, wo Sie Ihr Auto finden.«
»Samt Schlüssel?«
»Samt Schlüssel.«
Maître Simon zögerte nur einen Augenblick. »Einverstanden«, sagte er. »Ich schicke Ihnen die Bilder. In diese amerikanische Villa, nehme ich an.«
»Sehr richtig. Villa Bel-Air, Marseille. Und bevor Sie auf dumme Gedanken komme n – ich stehe unter dem Schutz der Vereinigten Staaten von Amerika. Das American Rescue Committee hat sich für meine Sicherheit verbürgt.«
Durch die Leitung rauschte ein unterdrückter Fluch. »Und wo finde ich meinen Wagen?«
»Das verrate ich Ihnen erst, wenn Sie mir die Bilder schicken. Reine Vorsichtsmaßnahme. Ich denke, das werden Sie verstehen.«
Ein weiterer Fluch krächzte in der Muschel. Harry lauschte ihm mit Entzücken.
»Ach, übrigens, grüßen Sie bitte Mademoiselle Lautrec von mir«, zwitscherte er.
»Mademoiselle Lautrec?«, rief Maître Simon. »Was zum Teufel haben Sie mit ihr zu tun?«
»Nichts«, erwiderte Harry. »Richten Sie ihr nur meine Komplimente au s – das Negligé steht ihr ausgezeichnet. Fast so gut wie Ihnen die Schlafmaske.«
26
Die ganze Nacht hatte Laura gemalt. Über dem Tejo graute ein neuer Tag, und je heller es draußen wurde, desto mehr schien die Dämmerung, die durch das Fenster drang, das trübe künstliche Licht des Hotelzimmers in sich hineinzufressen, als hätte die Deckenfunzel, in deren
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