Himmelsdiebe
Harry.
»Na was wohl?«, erwiderte Lulu mit tränenerstickter Stimme. »Ihr sollt euch küssen, verdammt noch mal!«
9
Mit einer Laterne, die Lulu ihnen mitgegeben hatte, machten die zwei sich auf den Heimweg durch den nächtlichen Weinberg.
»Sollen wir noch ein paar Schnecken sammeln?«, fragte Harry.
»Du meinst, für unser Hochzeitsmahl?« Laura war begeistert.
»Im Keller habe ich eine Flasche Chablis versteckt. Für besondere Anlässe.«
»Ich glaube, ich habe den richtigen Mann geheiratet.« Laura schwenkte die Laterne und beugte sich unter die Reben. »Wie wünscht der Bräutigam die Schnecken? Mit Himbeersoße oder lieber mit Parmesan?«
»Mit beidem natürlich. Man heiratet schließlich nur ein paar Mal im Leben. Aber hör auf, so mit der Laterne rumzufuchteln. Im Dorf glauben sie sonst, wir morsen einen Notruf, und dann kommen Pepe oder die Feuerwehr und versauen uns die ganze Hochzeitsnacht.«
»Quassel nicht so viel, such lieber.«
»Nicht nötig. Ich habe schon welche gefunden!«
Laura beleuchtete die Stelle, wo Harry am Boden kniete. Zu seinen Füßen krochen zwei Schnecken durch das Laub. Doch erst als sie sich bückte, erkannte sie, was die beiden Viecher da im Dunkeln trieben.
»Ich wusste gar nicht, dass die das auch können«, sagte sie. »Ich glaube, dabei dürfen wir sie nicht stören. Außerdem würde ich keinen Bissen runterkriegen. Ich würde sie beim Essen die ganze Zeit so vor mir sehen.«
»Ich bin gerührt«, sagte Harry. »Und ich weiß auch schon, was morgen in der Zeitung steht: Nur die Liebe hat sie gerettet! Aber was wird aus unserem Hochzeitsmahl?«
Laura gab ihm einen Kuss. »Ich denke, wir fangen einfach mit dem Nachtisch an. Wenn ich mich recht erinnere, hast du sowieso noch einen bei mir gut. Oder hast du einen besseren Vorschlag?«
»Auf die Gefahr hin, dass du mich langweilig findes t – nein!«
Hand in Hand eilten sie den Weinberg hinauf. Als sie in ihr Haus traten, machte keiner von ihnen Licht. Im Dunkeln schlichen sie die Treppe hinauf, als hätten sie Angst, die Götter könnten sie erwischen. Doch mit jeder Stufe, die sie ihrem Ziel näher kamen, wuchs ihre Ungeduld. Im Laufen knöpften sie sich Hemd und Bluse auf, kaum konnten sie unterscheiden, wem welche Hände gehörten, und sie hatten das Schlafzimmer noch nicht erreicht, da waren sie nackt.
»Sind wir jetzt richtig verheiratet?«, fragte Laura, als sie zusammen aufs Bett sanken.
»Noch nicht ganz«, erwiderte Harry. »Aber gleich.«
Mit einem Seufzer, der ihr selber peinlich war, breitete sie die Arme aus, um ihn zu empfangen. Als er zu ihr kam, war es wie beim ersten Mal. Doch das war es jedes Mal. Neu hingegen war die Langsamkeit, mit der er sie liebte.
»Haben die Schnecken dich inspiriert?«, flüsterte sie.
»Gefällt es dir nicht?«, antwortete er ebenso leise.
»Nein, mach bitte weiter. Genau so. Ich will jeden Millimeter spüren. Ein Leben lang.«
»Ganz wie die Braut befehle n …«
Sie liebten sich, bis der neue Tag anbrach. Draußen zwitscherten bereits die ersten Vögel, und die Dämmerung drang durch die Ritzen der Fensterläden, als Harry sich im Bett aufrichtete, um sich eine Mirakelzigarette anzuzünden.
»Du auch?«, fragte er.
Laura schüttelte den Kopf. Während sie sich in seinen Arm schmiegte, sah sie den bläulichen Ringen nach, die er mit seiner Zigarette in die Luft paffte.
»Ich glaube, mehr Glück geht gerade nicht.«
10
Spätherbstliches Schweigen füllte das Tal. Die Zikaden und Vögel waren verstummt, die Weinstöcke abgeerntet, nur die Sonne brannte noch mit sommerlicher Kraft vom lautlosen Himmel herab, als wäre die Zeit stehen geblieben. Nackt, wie sie dem Fluss entstiegen waren, kletterten Harry und Laura den steilen Pfad durch den Weinberg hinauf zu ihrem Haus. Sie hatten noch einmal in der Ardèche gebadet, vielleicht war dies der letzte warme Tag im Jahr. Der Pfad zwischen den Rebstöcken war so schmal, dass Laura vorausgehen musste. Harry hielt ein paar Schritte Abstand, um ihren Anblick zu genießen. Sie trug ihr Badezeug in einem Bündel auf dem Kopf und bewegte sich dabei mit einer Anmut, als wäre sie eine wiedergeborene Göttin. Sie war jung und schön und stolz. Und sie lebte auf der anderen Seite. Jeden Abend las sie dem Schaf, das sie inzwischen adoptiert und auf den Namen Helene getauft hatte, im Hof eine Gutenachtgeschichte vor, und das Schaf schaute sie dabei an, als würde es jedes ihrer Worte verstehen.
»Wo bleibst du?«
Laura
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