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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Söhnen und ihren Briefen.
    Zum Glück waren die Außenmauern des Gebäudes aus losen Bruchsteinen aufgeschichtet, die kaum von Zement zusammengehalten wurden. In die klaffenden Fugen ließen sich mit Mörtel all die Fundstücke einfügen, die Harry im Haus und im Garten ihres Anwesens sowie auf dem Weg ins Dorf täglich sammelte, Scherben aus Ton und Porzellan, Krüge und Töpfe, rostige Drähte und Schlüssel, sogar Mistgabeln und Schaufeln. Während Monat für Monat Briefe von Bobby aus New York eintrafen, die Harry trotz Lauras Drängen meist ungelesen beiseitelegte, damit keine irritierenden Nachrichten ihn von seiner Arbeit ablenken konnten, wuchsen aus den Mauerritzen magische Chimären und Masken hervor, Nixenleiber und Pferdeköpfe, um die sichtbaren und unsichtbaren Dämonen abzuwehren, die in ihr Paradies einzudringen versuchten mit dem Ziel, ihr Glück zu zerstören.
    Den Abschluss bildete ein überlebensgroßes Relief an der talwärts gewandten Fassade des Hauses. Ein zwei Stockwerke großer Riese mit mächtiger Knollennase streckte die Hände nach einer ebenso riesigen Begleiterin mit prallrunden Brüsten aus, zu deren Füßen sich ein kindliches Flügelwesen zum Abflug bereithielt: Dada, der König der Vögel, Harrys Alter Ego.
    Obwohl das Relief seine Idee gewesen war, hatte Laura sich die Vollendung des Werkes ausbedunge n – angeblich würde das Wichtigste fehlen, Harry habe es in seiner Blindheit vergessen. Am Morgen eines schwülwarmen, wolkenverhangenen Frühlingstags hatte sie sich an die Arbeit gemacht und ihn gebeten, das Haus nicht zu verlassen, bis sie ihn rief. Als er gegen Mittag Hunger bekam, sah er sich deshalb gezwungen, selber für sich zu sorgen. Er entschied sich für das einzige Gericht, das er eigenständig zubereiten konnte, ohne dass es wider Willen alchemistisch gerie t – Rührei mit Schinken. Doch gerade als er die Pfanne auf den Herd stellte, kam Laura in die Küche gerannt. Sie hatte eine Maurerkelle in der Hand, und ihr Kittel war voller Mörtel.
    »Du musst unbedingt rauskommen und es dir ansehen!«
    Sie war so aufgeregt, dass ihm kaum Zeit blieb, die Pfanne vom Feuer zu nehmen. Sie fasste seine Hand und eilte mit ihm die Treppe hinunter.
    Das Erste, was Harry auffiel, war ein Schatten im Hof. Als er am Haus hinaufschaute, sah er, woher der Schatten kam: Laura hatte Dada mit dem versehen, was ihrer Meinung noch gefehlt hatte. Groß und kraftvoll wie ein junger Baum ragte es aus dem Mauerwerk in die Höhe. »Ist der nicht ein bisschen groß geraten?«, fragte Harry.
    »Wenn du wüsstest, was ich dabei empfinde, ist er noch viel zu klein«, erwiderte Laura.
    Bevor er ihr antworten konnte, ertönte hinter ihnen wütendes Gebell. Harry drehte sich um. Der Köter aus dem Weinberg duckte sich mit gesträubtem Fell im Staub, die Augen in panischer Angst auf Dada gerichtet. Er fletschte die Zähne, knurrte und bellte, doch er war wie gebann t – unfähig, sich dem priapbewehrten Haus auch nur einen Schritt zu nähern.
    »Es wirkt!«, rief Harry, außer sich vor Begeisterung. »Es wirkt tatsächlich! Besser kann es niemand beweisen! Kein Exorzist und kein Kunstkritiker!«
    »Warum soll ein Hund dümmer sein als ein Schaf?«, fragte Laura. Sie nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände und gab ihm einen Kuss. »Jetzt ist unser Zauberhaus fertig.«
    12
    Ein Jahr war vergangen im Paradies. Während flache, diskusförmige Wolkenscheiben am Himmel den Mistral ankündigten, staute sich unten im Tal, wo die Ardèche nur noch als ein Rinnsal durch ihr ausgetrocknetes Bett plätscherte, die Hundstagshitze des August. Nach einem langen, heißen Sommer ohne Regen war der Fluss beinahe versiegt. Laura saß nackt auf einem Stein, die Füße im seichten Wasser, und sah einem Schwarm winzig kleiner Fische zu, die um ihre Waden flitzten und tausend Schatten auf den hellen Sandboden warfen. Harry hatte sich auf einem Felsen ausgestreckt und döste in der Sonne. An seinem Körper waren noch die Spuren ihrer Liebkosungen zu sehen. Sie hatten sich geliebt und danach von dem Wein getrunken, den sie aus ihren eigenen Trauben gekeltert hatten.
    »Bei den Penaten unseres Hauses«, hatte Harry gesagt, »nie will ich diesen Wein mit einer anderen Frau trinken als mit dir.«
    Eine buntgefleckte Libelle schwebte sirrend über dem Wasser, nur eine Armeslänge von Harry entfernt. Doch er bemerkte sie nicht, gleichmäßig hob und senkte sich seine braungebrannte Brust im Rhythmus seines Atems, begleitet von

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