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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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drehte sich nach ihm um. Während sie eine Locke aus ihrer Stirn blies, streifte sie mit den Augen über seinen Körper. Ihre Schamlosigkeit faszinierte Harry jedes Mal aufs Neue. Er hatte am Anfang Angst gehabt, als er mit ihr aus Paris hier angekommen war, Angst, allein mit einer Frau im Paradies zu sein, Angst, dass die Blicke und Worte und Gesten sich nach ein paar Wochen abnutzen würden, um ihren Zauber zu verlieren, wie es fast immer zwischen Mann und Frau geschah, seit Adams und Evas Zeiten. War nicht jedes Gefühl schon einmal gefühlt? Jede Zärtlichkeit schon einmal getauscht? Er wusste ja nur zu genau, was ein Mann tun musste, um eine Frau zu erobern: wie man sie zum Lachen bringen, wie man sie provozieren konnte, wann man sie anschauen, wann man den Blick senken musste, wann der Zeitpunkt für die erste Berührung gekommen war. Aber mit Laura war alles anders. Die Liebe, die sonst mit tödlicher Gewissheit ins Gefängnis gegenseitiger Abhängigkeit führte, war mit ihr der Schlüssel zur Befreiung aus dem Kerker des eigenen Ich, eine ununterbrochene Quelle der Inspiration. Sie hatten sich ineinander verliebt, ohne sich aneinander zu gewöhne n – das war das Wunder, das mit ihnen passiert war. Als hätten sie die Liebe neu erfunden.
    »Ich glaube, wir müssen heute noch mal Wäsche waschen«, sagte er und gab ihr einen Kuss.
    »Hier?«, fragte sie. »Ist das nicht ein bisschen steinig?«
    »Ich pass schon auf, dass du dir nicht wehtust.«
    »Du hast leicht reden«, flüsterte sie zärtlich. »Du liegst ja auch nicht unten.«
    Er sah das Lächeln in ihren Augen, das Lächeln ihrer Lippen.
    »Ich mache uns ein Bett aus Laub. Außerdem, wer sagt, dass du unten liegen darfst?«
    Noch während er sprach, hörte er ein leises, gefährliches Knurren.
    Als er sich umdrehte, entdeckte er zwischen den Rebstöcken einen schäferhundgroßen Köter, der sich ihnen mit gefletschten Zähnen und gesträubtem Fell näherte.
    »Wo kommst du denn her?«, fragte Laura und lockte den Hund mit ausgestreckter Hand zu sich. Im nächsten Moment war er bei ihr und steckte seine Schnauze zwischen ihre nackten Oberschenkel.
    »Jag das Vieh fort!«, rief Harry.
    »Warum? Bist du eifersüchtig?«
    »Das ist ein Spion von Florence! Hast du nicht die Augen gesehen?« Er stieß den Köter von ihr fort, nahm ein Stöckchen und warf es quer über den Hang.
    Als der Hund davonschoss, erblickte Harry eine Gestalt hinter dem Torbogen ihres Hauses: Pepe, den Dorfbriefträger. Die Hose hing ihm bis zu den Knien herunter.
    »Oh, wir haben einen Zuschauer«, sagte Laura.
    »Zuschauer ist gut. Er hat sich einen runtergeholt.«
    »Pfui! Das will ich nicht gehört haben.«
    »Warum nicht? Ich schätze, das sollte ein Kompliment für dich sein.«
    Während sie seinen Namen riefen, stürzte Pepe davon. Bevor er auf der anderen Seite des Hofs im Weinberg verschwand, machte er aber noch einmal kehrt, um aufgeregt grunzend einen Brief aus seiner Posttasche zu holen und auf der Einfriedung abzulegen.
    »Von Bobby«, sagte Harry, als sie den Torbogen erreichten und er die Handschrift auf dem Kuvert erkannte. Er nahm den Brief von der Mauer und öffnete ihn mit den Fingern. Es war der erste Brief von seinem Sohn aus New York. Was hatte er Schönes zu berichten? Vielleicht hatte Bobby ein hübsches amerikanisches Mädchen kennengelernt und sich verlieb t …
    Kaum hatte Harry zu lesen begonnen, verzog er das Gesicht.
    »Was schreibt er?«, wollte Laura wissen.
    »Ach, immer dieselbe Leier. Wir sollen Europa verlassen, seine Mutter und ich, und nach Amerika kommen. Mein Herr Sohn ist der Ansicht, Hitler würde das Münchener Abkommen brechen.« Harry faltete den Brief zusammen. »Was versteht der schon von Politik!«
    »Willst du nicht zu Ende lesen?«
    »Später«, sagte Harry und steckte den Brief in die Badetasche. »Wir haben jetzt Wichtigeres zu tun. Wir müssen unser Haus gegen die Dämonen schützen. Wie du siehst, geben sie sonst keine Ruhe.«
    Laura schlüpfte in ihren Badeanzug. »Und wie soll das gehen?«
    »Ich glaube, du hast schon wieder nicht in der Schule aufgepasst«, erwiderte er mit einem Lachen. »Dämonen kann man nur durch Dämonen abwehren. Das weiß doch jedes Kind!«
    11
    Über ein halbes Jahr brauchte Harry, um die Fassaden ihres Hauses mit all den Schutzgeistern zu versehen, die nötig waren, um ihr Zauberhaus vor den Heimsuchungen dieser Welt zu bewahren: vor ehemaligen Ehefrauen in Hundegestalt ebenso wie vor überbesorgten

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