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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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erloschen.
    »Sie können meinen Platz haben«, bot er dem Theologieprofessor an, der hinter ihm in der Reihe stand.
    »Nanu, wohin wollen Sie denn so plötzlich?«
    »Auf die Kommandantur!«
    »Dann vielen herzlichen Dank!« Erich Hirngiebel zog ein verklärtes Gesicht. »Ich habe in meinem akademischen Leben manche Ehrung erfahren. Doch keine hat mich mit größerer Freude erfüllt als diese.«
    15
    »Zeit zum Aufstehen, Miss Paddington.«
    Eine Stimme wie ein Sonnenstrahl küsste Laura wach. Als sie blinzelnd die Augen öffnete, sah sie Harry. Zärtlich schaute er auf sie herab.
    »Einen schönen guten Morgen, Monsieur Winter«, flüsterte sie.
    Jeden Abend vor dem Schlafengehen stellte sie das Bild ihres Geliebten vor ihrem Bett auf, damit sein Gesicht das Erste war, was sie morgens sah. Während sie sich streckte, hörte sie wieder seine Stimme.
    »Los, raus aus den Federn!«
    »Nur noch fünf Minuten.«
    »Faultier! Haben wir heute nicht einen Termin?«
    Plötzlich war Laura hellwach. Sie wollte an diesem Vormittag mit dem Bus nach Avignon fahren. Maître Simon hatte in Erfahrung gebracht, dass in der Sou-Präfektur Listen mit den Namen aller deutscher Gefangenen veröffentlicht würden, die in diesem Monat aus den südfranzösischen Internierungslagern entlassen werden sollten.
    »Wie könnte ich das vergessen?«, sagte Laura und schlug die Decke zurück.
    Als sie sich aus dem Bett schwang, spürte sie, wie es sich in ihrem Leib regte. Behutsam strich sie sich über den Bauch. Wieder fing der kleine Dada an zu strampeln. Freute er sich schon auf seinen Vater? Laura hatte nachgerechne t – es musste in der Nacht passiert sein, in der Harry zum letzten Mal bei ihr gewesen war. Ihre Periode kehrte zwar nach wie vor regelmäßig wieder, und auch ihr Bauch war immer noch so flach wie früher. Der Arzt, den sie in der Stadt aufgesucht hatte, behauptete deshalb, sie sei gar nicht schwanger. Doch sie ließ sich nicht beirren. Sie hatte von Frauen gehört, die bis zur Geburt ihre Tage bekommen hatten, und dass sie nicht dicker wurde, war kein Wunde r – das bisschen, das sie aß, erbrach sie, kaum dass sie es zu sich genommen hatte. Außer mit dem Arzt hatte sie mit keinem Menschen über ihr Kind gesprochen, nicht mal mit Lulu. Harry sollte der Erste sein, der davon erfuhr.
    »Sind Sie auch so aufgeregt wie ich?«
    »Wie können Sie nur fragen?«
    An seinem Gesicht sah sie, wie sehr er sich auf sein Kind freute. Gott sei Dank, sie hatte sich in ihm geirr t – ihr eigenes Bild hatte sie getäuscht. Harry war nicht der böse Zauberer, der das Mirakelmädchen umgebracht hatte. Er war der Große Zauberer, der Mann, den die Götter für sie ausersehen hatten. Er konnte es gar nicht erwarten, sie in den Armen zu halten. Sie und ihr Kind.
    »Welches Kleid schlagen Sie vor?«, fragte sie ihn und trat an den Schrank.
    »Das wissen Sie doch ganz genau!«
    Laura blies sich eine Strähne aus der Stirn. Obwohl es eigentlich noch zu kalt dafür war, nahm sie ein weißes Sommerkleid vom Bügel, das vorne durchgehend geknöpft war und bei jedem Schritt ihre Beine aufblitzen ließ. Immer wenn sie es trug, wollte Harry mit ihr schlafen. Er hatte es ihr noch in Paris gekauft, als Ersatz für das Seidenkleid von Lafayette, das er nach ihrem Nacktauftritt im Café Flore verbrannt hatte. Während sie die letzten Knöpfe schloss, drehte sie sich vor seinem Bild herum wie vor einem Spiegel.
    »Gefalle ich Ihnen?«
    »Nur ein bisschen«, log er. »Aber vielleicht sollten Sie mal nach der Uhr schauen. Sonst fährt der Bus noch ohne Sie ab.«
    Laura griff nach dem Nachttisch, auf dem sie jeden Abend ihre Armbanduhr ablegte. Doch die Uhr war nicht da. Hatte sie sie schon im Badezimmer abgenommen?
    Als sie die Uhr auch dort nicht fand, ging sie in die Küche und schaltete das Radio ein. Vielleicht gab es ja eine Zeitansage. Sie wollte gerade den Raum verlassen, um im Atelier weiterzusuchen, da hörte sie die Stimme eines Nachrichtensprechers. Sie hatte Glück gehabt, am Ende der Nachrichten folgte immer die Zeitansage.
    In der Tür blieb sie stehen, um zu lauschen. Zuerst verstand sie nur die Wörter, die der Sprecher von sich gab. Doch als sie deren Bedeutung begriff, trocknete ihr der Mund aus.
    »Heute in den frühen Morgenstunden ist die deutsche Wehrmacht in Frankreich einmarschiert. An breiter Front dringen die feindlichen Truppenverbände ins Innere unseres Landes ein, ohne auf Widerstand zu stoßen. Die Regierung hat inzwischen den

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