Himmelsfern
einmal einer Woche verschwinden würde. Vielleicht für immer. Rosalia hätte es masochistisch genannt, eine Beziehung einzugehen, die zum Scheitern verurteilt war. Aber war das so ungewöhnlich? Ewige Liebe gab es nicht, irgendwann trennte man sich immer. Diese Beziehung hatte den Vorteil, dass ich wusste, wann das sein würde. Die Fakten lagen auf dem Tisch. Prima! Ich musste nicht einmal den Status des galligen Entliebens durchmachen. Hey, ich war ein Glückskind, oder etwa nicht? Meine romantische Freundin würde das anders sehen, aber wenn ich eins nicht wollte, dann Mitleid.
»Ich wünschte«, meinte Marlon ganz leise, »ich hätte dich nie getroffen. Dann müsste ich dir nicht wehtun. Ich dachte, es würde mich erleichtern, mit einem Mädchen, das ich lieb habe, Hoffnung zu finden. Aber es macht nichts leichter. Ich war ein Idiot.«
»Du bist ein Idiot«, korrigierte ich ihn. »Mach es nicht schwerer, als es ist. Hör auf mit dem Was-wäre-wenn. Es ist, wie es ist. Du bist hier und ich auch.«
»Jetzt.«
»Ja, und das Jetzt ist entscheidend. Wir sollten gleich weitersuchen. Wie viel Zeit haben wir, um Pause zu machen?«
»Eine halbe Stunde.« Es klang wie eine Frage.
»Gut, dann nutzen wir sie besser.« Ich lehnte mich über ihn, schmiegte mich an ihn und küsste ihn.
Es dauerte eine Weile, bis er mich zurückküsste, aber dann hatte ich den Eindruck, dass es die Furcht vertrieb. Wir küssten uns auf dieser Wiese unter den abfälligen Blicken von Menschen, die mit gesenkten Köpfen durch den Park eilten. Wir küssten uns länger als eine halbe Stunde, viel länger, bevor wir weitersuchten.
Am frühen Abend rief ich Rosalia an, lauschte ihren Erzählungen von Rom und berichtete, so unverfänglich, wie ich konnte, was hier zu Hause los war. Ich nannte Marlon einen losen Flirt und schämte mich dafür. Es klang wie Verrat.
»Hast du eigentlich gelesen, dass sie die Ermittlungen zum U-Bahn-Unglück eingestellt haben?«, fragte Rosa und traf mich damit völlig unvorbereitet.
»Wâ¦was?«, stotterte ich und presste das Telefon gegen mein Ohr, bis es schmerzte. Sie hatte recht, die Bahnen auf der Unglücksstrecke fuhren seit Kurzem wieder. Selbstredend ohne mich. »Woher weiÃt du das?«
»n-tv.de«, erwiderte sie in ihrem Zwitscherton. »Es wurde dort kurz erwähnt. Der Unfall wurde wohl durch einen technischen Defekt an einer Weiche verursacht.«
»Diese miesen Lügner!«
»Was sagst du?« Meine Freundin klang verwirrt und mir wurde bewusst, dass ich laut gedacht hatte.
»Nichts, ist schon gut. Ich glaube das nur nicht.« Nein, ich wusste es besser. Hatten die Behörden es sich tatsächlich so einfach gemacht, den Fall für nicht existent zu erklären, weil sie ihn nicht lösen konnten? Das war zweifellos das Beste für Marlon und seine Leute ⦠aber es lieà mein Vertrauen in die Polizei erneut gehörig wanken. Worauf konnte man überhaupt noch vertrauen?
»Vielleicht«, überlegte Rosalia und ich hörte, dass sie nebenbei irgendetwas aÃ, »behaupten sie auch nur, nicht weiterzuermitteln, damit die Täter unvorsichtig werden.«
Das war durchaus möglich und daher rief ich, nachdem Rosa sich verabschiedet hatte, Marlon an.
Er lachte bitter. »Ich habe das auch gelesen und es wundert mich kein Stück. Alles, woran die Huntsmen beteiligt sind, endet früher oder später als Unfall oder technischer Defekt. Sie wollen nicht, dass die Namen ihrer Leute in zu vielen Akten auftauchen. So was macht sich nicht gut im Lebenslauf. Du musst wissen, dass nicht wenige von ihnen genau zu diesem Zweck Jobs bei der Polizei oder beim Militär haben.«
Mir lagen ein paar Worte des Bedauerns den Opfern gegenüber auf der Zunge, aber ich zerbiss sie zwischen den Zähnen, dass es knirschte. Ich hatte beinahe vergessen, wer den Unfall verursacht hatte. Um ehrlich zu sein, hatte Marlon in meinem Kopf mit all dem nur am Rande zu tun. Es gelang mir nicht, ihn für schuldig zu halten. Für mich lag die Verantwortung überwiegend bei den Huntsmen und ein bisschen auch bei Corbin und Emma. Und obwohl ich genau wusste, dass ich es mir damit zu leicht machte, drängte ich dieses Wissen zurück und hielt an der einfachen Variante fest. Rosa Brille? Wohl eher rosa Kontaktlinsen, die sich trotz hartnäckigem Pulen und Kratzen am
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