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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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bis zu unserem Haus wankte. Erst mit dem Zufallen der Haustür wagte ich, die Stelle zu berühren, um mich zu vergewissern, dass es wirklich nur eine Berührung gewesen war. Es fühlte sich an, als hätte Marlon mich auf Lebenszeit sichtbar gezeichnet.

 

    Vom Vertrauen und vom Gegenteil
    Ich starrte in meinen Kleiderschrank. Ein ausgewaschener Micky-Maus-Schlafanzug baumelte neben mir hin und her.
    Â»Größe 140«, lautete die Anklage und sie kam aus Dominics Mund. »Wann trägt man das, mit zehn? Noa, du endest noch als Messie, wenn du nicht lernst, den ollen Kram wegzuschmeißen.«
    Â»Okay«, antwortete ich gedankenverloren. Natürlich würde ich niemals den Schlafanzug wegwerfen, den Papa mir zum Geburtstag geschenkt hatte, aber Dom gab vorerst Ruhe und ließ sich mutig in einen Haufen Kleidung fallen, unter dem er mein Bett vermutete.
    Dummerweise hatte er recht. Ich besaß wirklich viele Klamotten. Leider nicht, weil ich modebesessen war und ständig das Neueste kaufte, sondern weil ich alte Sachen nicht wegwarf. Das senfgelbe Cordkleid, das ich zur Einschulung getragen hatte, zwinkerte mir zu. Dafür fand sich nichts, was für ein Date mit Marlon gut genug war. Alles zu alltäglich, zu bunt, zu grau, zu mädchenhaft, zu jungenhaft. Zu kindisch.
    Â»Du hast ein Problem mit dem Loslassen«, diagnostizierte Dom. Ich drehte mich zu ihm um. Er blinzelte mir über den Rand einer alten Sonnenbrille zu, der ein Glas fehlte.
    Â»Es ist viel schlimmer, Dom. Ich weiß nicht, was ich anziehen soll.«
    Er seufzte theatralisch. »Ich wusste, dass es dazu kommen würde. Ich hatte gehofft, diesen Satz nie von dir zu hören, aber irgendwann erwischt es jedes Mädchen.«
    Ich bewarf ihn mit einem Jeansrock, an dem der Reißverschluss kaputt war. »Wo ist das Problem, wenn ich nicht rumlaufen will wie der letzte Penner!«, fauchte ich. Mein Ärger galt eigentlich mir selbst, aber ich teilte bereitwillig.
    Â»Du hast noch nie wie ein Penner ausgesehen.« Dom gab nichts auf meine Frustration und sortierte die Nagellackfläschchen auf meinem Nachttisch nach Farben. »Du hast immer wie du selbst ausgesehen.«
    Na, vielen Dank! »Das reicht aber nicht mehr.« Nein, ich wollte schön sein, schöner als bisher. Marlon hatte mich unmittelbar nach dem Aufwachen gesehen, ungewaschen und mit verquollenen Augen. Er hatte mich verschwitzt, rußverschmiert und zerzaust zum Frühstück eingeladen. Ich wollte ihm beweisen, dass Noa Grau noch mehr draufhatte als den Bemitleidenswertes-Mäuschen-Look. Denn was wollte ich mit einem Kerl, der sich aus Scham oder schlechtem Gewissen mit mir abgab? Nein – ihm sollte der Mund offen stehen, wenn er mich sah. Er sollte sabbern. Mindestens!
    Â»Nono, wenn der Typ dich nicht mag, so wie du bist, dann taugt er ohnehin nichts«, fuhr Dominic fort, ohne aufzusehen.
    Jetzt wurde es mir zu bunt. Ich fuhr herum und riss ihm meinen Nagellack aus der Hand. »Ich heiße Noa! Hör mit dem albernen Nono auf! Und ob er taugt oder nicht, kannst du nicht beurteilen. Du kennst ihn nicht. Misch dich nicht in Angelegenheiten, von denen du nichts verstehst!«
    Â»Mann, tick doch nicht gleich aus! Ich will dir nur helfen!«
    Â»Ich brauche deine Hilfe aber nicht.«
    Â»Noa, du verzweifelst gerade an deiner Klamottenwahl. Über so was warst du bis jetzt erhaben. Wenn das kein Hilfeschrei ist, dann –«
    Ich gab nichts auf seinen schlappen Versuch, die Sache mit einem Scherz zu retten. »Weißt du, wann ich deine Hilfe gebraucht hätte?«, fiel ich ihm ins Wort. »Im Krankenhaus. Du warst nicht da, schon vergessen? So wichtig war ich dir dann doch nicht. Du bist nichts als ein blöder Klugscheißer, der keine Ahnung hat, wovon er redet, aber gerne große Töne spuckt. Wenn du mich nicht so akzeptierst, wie ich bin – nervös im Moment, ja –, dann verpiss dich doch einfach!«
    Baff. Das hatte gesessen.
    Für eine Sekunde sah er mich ungläubig an, dann verlor sich die Starre und wurde zu trauriger Wut.
    Â»Dom, ich …« Ich hätte dich im Krankenhaus gebraucht. Ja, und nun hatte ich Mist gebaut. Es war nicht ungewöhnlich, dass man in unserem Block so miteinander sprach, aber für uns hatten andere Regeln gegolten. Wir hatten immer respektvoll miteinander geredet, sogar im Streit, dadurch war unsere Freundschaft etwas Besonderes gewesen.

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