Himmelsfern
später noch rausgehen.«
Papa zog angesichts seiner Nachtschicht eine Grimasse. »Triffst du dich mit Dominic?«
Ich brummte unverfänglich, was sowohl Ja als auch Nein heiÃen konnte, dem Ja aber etwas näher kam.
»Ist das immer noch rein platonisch zwischen euch?«
Oh, oh. Der skeptische Unterton gefiel mir gar nicht. »Klar«, antwortete ich leicht fragend und malte einen Kringel aus Spülmittel ins Wasser.
»Nun ja, wenn es anders wäre«, druckste Papa herum, »nur für den Fall ⦠dann würdet ihr es mir doch sagen, oder?«
Ich versuchte eine Taktik à la Marlon â ich wich aus. »Als der Verdacht das erste Mal aufkam, hast du Dom eine Schnabeltasse aus dem Pflegeheim gezeigt und ihn gefragt, ob er sich vorstellen kann, zu welch lustigen Dingen man diese zweckentfremden könnte.«
Papa lachte. »Das hat er doch nicht ernst genommen!«
»Hast du ihn seitdem noch mal hier gesehen? Ich schon, allerdings fragt er jedes Mal, ob du da bist, ehe er sich hertraut. Aber ich kann dich beruhigen. Dom und ich sind nur Freunde.«
»Sicher.« Papa trocknete den Topf ab, den ich gespült hatte, und stellte ihn in den Schrank. »Für den Jungen mit dem Sportwagen gilt übrigens dasselbe: Wer meiner Lieblingsküchenmagd wehtut«, ich warf den Spüllappen und er wich aus, »der lernt die Schnabeltasse kennen.« Er zwinkerte und ich drehte den Kopf weg, damit er mich nicht erröten sah. Den markigen Sprüchen zum Trotz würde er niemals jemanden verletzen, das wusste ich, dennoch konnte ich ihm nicht in die Augen sehen.
Denn wenn eines sicher war, dann das: Marlon würde mir wehtun.
Als ich mich zum Garten aufmachte, riss die Wolkendecke an mehreren Stellen auf. Im Westen blinzelte ein blutroter Sonnenuntergang hindurch und goss warmes Licht über die Baumkronen. Die Luft war angenehm, auch wenn ich nun eine Sweatjacke über Emmas T-Shirt tragen musste. Ich nahm den direkten Weg durch die Schrebergärten. Unter meinen FüÃen schmatzte das nasse Gras und wusch den Dreck von meinen Schuhen, bevor die Feuchtigkeit bis in meine Socken drang.
Ich hörte Marlon, lange bevor ich ihn sah. Er schnaubte, zischte einen Fluch und schien mit schwerer Arbeit beschäftigt. Ich hörte rhythmisches Klatschen und leises Keuchen. Als ich jedoch die letzte Hecke überkletterte und sein Garten und die Hütte vor mir lagen, war kein Marlon zu entdecken. Dafür hockte der Rabe Pinsel auf dem Boden und beäugte mein Näherkommen skeptisch.
Ich machte ein paar vorsichtige Schritte in seine Richtung, um ihn nicht zu erschrecken.
Pinsel legte den Kopf schief. Er sah mich an, als fände er mich ebenso interessant wie ich ihn. Und es mag Einbildung gewesen sein, aber irgendwie wirkte er spöttisch. Ãberlegen. Beinahe ⦠menschlich.
Plötzlich plusterte er sich auf, stieà ein in die Ohren schneidendes »Krrrah« aus und schlug wütend mit den Flügeln. Ich wich ein Stück zurück.
Marlon kam hinter der Hütte hervor, mit nacktem Oberkörper und einem erhobenen Spaten, von dem Erdklumpen auf seine bloÃen Schultern fielen. Er stürmte durch den Garten, als wollte er den Raben nicht nur verjagen, sondern geradewegs erschlagen. Pinsel suchte sein Heil in der Flucht. Er hopste über den Boden, flatterte aufs Tor und erhob sich von dort mit einem zornigen »Krrrapp, krrrapp« in die Luft.
»Hau ab, verdammter Aasgeier!«, brüllte Marlon ihm nach. Er drehte sich zu mir um und schleuderte den Spaten von sich, sodass dieser in der Hecke landete. Ein paar Augenblicke rang er um Beherrschung, dann atmete er tief durch und wischte sich die Haare aus dem Gesicht.
Ich war überzeugt, etwas Wichtiges vergessen zu haben, aber ich kam nicht dahinter, was es war. Erst Marlons überhebliches Grinsen brachte mich auf die Idee. Richtig, ich sollte den Mund wieder schlieÃen.
»Du«, ich musste mich räuspern, um nicht selbst zu krächzen wie ein Rabe, »magst keine Vögel, was?«
Er blieb einen guten Meter vor mir stehen und verschränkte die Arme, was seine Brustmuskeln spielen lieÃ. »Nur diese nicht. Sie gehen mir auf die Nerven, diese aufdringlichen Biester.«
»Sie sind neugierig«, verteidigte ich meine Raben.
Marlons Hände und Arme waren bis zu den Ellbogen von Schmutz verkrustet. Ich war eigentlich nicht der Typ Mädchen, der auf archaische,
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