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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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so oft wandte er sich ohne Antwort ab. Er trat an die Küchenzeile, füllte Wasser in einen Kessel und entzündete den Gasherd. Die Hände zu beiden Seiten des Herds abgestützt, als könnte er meine Forderung sonst nicht tragen, verharrte er. Er dachte nach. Und ließ sich furchtbar lange Zeit damit. Ich lehnte mich an die Tischkante und wartete auf seine Antwort.
    Erst als das zuvor eisige Wasser kochte und den Kessel zum Pfeifen brachte, sagte Marlon: »In Ordnung.« Dann kippte er das Wasser in eine Thermoskanne, riss mit den Zähnen die Papieretiketten von drei Teebeuteln und warf diese dazu. Ehe er die Kanne schloss, schüttete er eine Handvoll Zucker hinterher. Schließlich legte er sich eine Decke über die Schulter und nahm zwei Plastikmüllsäcke, in denen er die Kanne und zwei Edelstahltassen verstaute. Er bedeutete mir, sein Manuskript mitzunehmen, und ging hinaus, wo er alles mit lautem Geschepper auf das flache Dach warf und dann eine Räuberleiter für mich machte.
    Ich zögerte nicht und ließ mir von ihm hochhelfen. Die ersten Schritte aufs Dach tat ich sehr behutsam, zweifelnd, ob es mein Gewicht halten würde, aber es war stabil. Marlon zog sich an der Dachkante hoch und folgte mir. Er breitete die Müllsäcke auf dem feuchten Holz aus, legte die Decke darüber und machte eine Geste, als würde er mir den besten Platz in einer altmodischen Theatervorstellung anbieten. Wortlos setzte er sich neben mich, goss beide Tassen voll und drehte mir dann den Rücken zu.
    Â»Ich kann das nicht vorlesen, wenn du mich ansiehst«, meinte er verschämt.
    Ich drehte mich ebenfalls, sodass ich meinen Rücken gegen seinen lehnen konnte, und lauschte. Minuten schienen zu vergehen. Um uns flüsterten die Bäume, ein paar Vögel tauschten Tratsch aus. Die Geräusche der Straße, vereinzeltes Geschrei von Müttern, die ihre Kinder nach Hause riefen, sowie das monotone Pmpf-pmpf-pmpf der Stanzerei, all das verlor an Bedeutung. Marlon straffte mehrmals den Rücken, als müsste er Atem sammeln, um sich zu überwinden, aber als er schließlich zu lesen begann, war er entspannt und seine Stimme klang, als gehörte sie genau hierher.
    War Brijans Braut Seirēn zunächst auch bestürzt, ihre Seele nicht einem Mann, sondern dem Meer geschenkt zu haben, so fügte sie sich doch rasch in ihr neues Leben. Statt ihrem eigenen Schicksal beweinte sie die Verstorbenen, jene, die das Meer verschlungen hatte und aus deren Leben es die Kraft gewann, Seirēns Körper zu verändern, bis sie selbst ein Teil davon war. Jahrelang fielen ihre Tränen ins Wasser, sodass alle sieben Meere salzig wurden und Seirēn keine Erinnerungen und keine Gefühle mehr blieben. Nachdem ihre letzte Träne vergossen war, schwamm sie zu ihrem Gatten, nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn mit der ganzen Gier ihrer blanken, animalischen Triebe.
    Brijan war erstaunt, dann entsetzt und schließlich ergab er sich dem Wesen, welches bis zu seinem Erscheinen eine Frau mit Träumen und Wünschen gewesen und mittlerweile zu einem Tier in menschlicher Hülle mutiert war, dessen Lebenssinn aus Nahrung und Fortpflanzung bestand. War es nicht er gewesen, der sie zu dem gemacht hatte? Nun hatte er ihr zu geben, was sie verlangte. Das salzige Wasser brannte in seinen Augen und wusch sein Gewissen davon, während Seirēn ihn zwischen ihren Schenkeln in die Tiefe zog.
    Monate vergingen. Brijan lebte so zufrieden, wie er es nie für möglich gehalten hätte, mit Seirēn im Meer. Alles, was seine Frau wollte, war Nahrung und Liebe. Beides konnte er ihr im Übermaß geben und so geschah es bald, dass ihr Leib sich wölbte. Mit banger, doch auch freudiger Erwartung sah er der Geburt seines Kindes entgegen. Er sann darüber nach, ob es wie Seirēn sein würde. Unerträglich schön, mit einer Stimme, die die Fische geradewegs zwischen ihre hungrigen Lippen lockte, und ohne den menschlichen Makel der Sehnsüchte und Träume. Oder würde sein Kind ihm ähnlich sein? Ein menschlicher Geist, ein menschlicher Körper, doch kalt und in der Lage, zu leben wie ein Fisch?
    Er sollte es nicht erfahren, denn Seirēn verschwand, als der Sommer nahte. Während man an Land Beltane-Feste feierte, deren Feuer bis hinaus aufs Meer zu sehen waren, gebar Seirēn unbemerkt Brijans erste Kinder. Mit flachem Bauch kehrte sie zu ihm

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