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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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verdreckte Männer stand, aber in diesem Moment stellte ich mir vor, er würde mein Gesicht in seinen Händen halten und mich stürmisch küssen. Ich würde den Schweiß schmecken, der in winzigen Perlen auf seiner Oberlippe stand. Oh, oh.
    Dummerweise wandte er sich ab. »Nein«, hörte ich ihn murmeln, während er zur Hütte ging. »Sie suchen Erinnerungen.« Auf seinem linken Schulterblatt war etwas, das ich zunächst für Dreck gehalten hatte und das sich nun als rotbräunliche Tätowierung entpuppte. Zwei schräge Linien vor einer senkrechten, die in einem Kreis mündete. Ich wusste nicht, was das darstellen sollte – möglicherweise Stöcke oder Holzschwerter in einer Haltevorrichtung –, aber ich sprach Marlon nicht darauf an.
    Â»Erinnerungen?«, fragte ich stattdessen und folgte ihm. Im Halbdunkel der Laube machte ich seine Schreibarbeiten auf dem Tisch aus. Daneben befanden sich eine volle Kekspackung und eine leere Kaffeetasse. Wider Willen achtete ich mehr auf die flachen Muskeln an seinem Rücken und fragte mich, wie sich diese wohl anfühlten.
    Â»Hmhm.« Mit dem linken Arm wies er zum Tisch. »Die Geschichte ist fertig, du kannst sie lesen. Dort hinten in der Schublade sind Kerzen und Streichhölzer, falls du mehr Licht brauchst.« Sein rechter Ellbogen deutete in die andere Richtung, sodass es aussah, als würde er den Ententanz aufführen. Ich biss mir hinter seinem Rücken heftig auf den Zeigefinger, um nicht in Gelächter auszubrechen. Im Stillen dankte ich ihm, mich zur rechten Zeit von den kindischen Schwärmereien abzulenken, für die ich Rosalia immer schalt und die ich mir im Nachhinein kaum verzeihen würde.
    Â»Ich springe mal rasch unter die Dusche. Fühl dich wie zu Hause.«
    Er war in der Nasszelle verschwunden, bevor ich ihn fragen konnte, warum er hinter seiner Hütte den Boden umgrub. Aber gut, er hatte mit einem stumpfen Rasenmäher das Gras abgemetzelt, kaum dass er sich hier einquartiert hatte. Und nun pflanzte er eben Kartoffeln und Rosen an. Oder vergrub Leichen – es gab ja keinen Keller. Vielleicht beerdigte er auch Ängste, Erinnerungen oder Träume. Warum auch nicht? Ich verbot mir das Grübeln und zwang mich, Marlons Gartenarbeit als Zeichen zu nehmen, dass er hierbleiben oder zumindest nicht für ewig fortgehen würde. Wer rackerte sich schon in seinem Garten ab, wenn er ihn für lange Zeit brachliegen lassen wollte?
    Ich hörte das Wasser im Nebenraum rauschen, daruntergemischt ein gepresstes Stöhnen. Duschte der Held auch noch kalt? Der Hahn am Spülbecken hatte nur einen Drehknauf, es war also davon auszugehen, dass es kein warmes Wasser gab. Wie grausam! Ich würde hier gewiss niemals duschen. Aber … Herrgott, warum sollte ich auch? Ich schüttelte all diese eigenartigen Gedanken aus meinem Kopf und raufte mir die Haare. Der Typ machte mich ganz wuschig.
    Marlon kam vollständig angekleidet zurück. Ob ich das bedauerte oder guthieß, war nicht so leicht zu entscheiden. Wasser, das aus seinen Haaren troff, war inzwischen zu einem vertrauten Bild geworden. Ich gab mich viel lässiger, als ich mich fühlte, und zupfte ihm spielerisch an einer Strähne.
    Er tippte den flachen Papierstapel an. »Hast du es noch gar nicht gelesen?«
    Â»Nein, Monsieur Giraudoux, habe ich nicht.«
    Â»Girau… Wer bitte?«
    Erfreulicherweise wusste ich endlich einmal mehr als er. Der Theater-AG sei Dank. »Jean Giraudoux war ein französischer Schriftsteller. Er schrieb das Theaterstück Undine , das von einer Nixe und ihrer tragischen Liebe zu einem Ritter handelt.« Meine Stimme wurde beim Sprechen unwillkürlich leiser, da mir einfiel, dass ich schon an dieses Stück hatte denken müssen, als ich noch keinen Satz aus Marlons Feder kannte. »Ach, wenn doch alles anders wär«, rezitierte ich dramatisch und verbarg so meine Bestürzung. »Wie hätt ich ihn geliebt.«
    Marlons Applaus kam in Form eines Lächelns und geriet müde. »Girau-Dingsbums war bestimmt ein besserer Schriftsteller als ich, denn meine wahre Stärke sind Comics. Weniger Worte, die mir im Weg rumstehen. Willst du die Geschichte trotzdem zu Ende lesen?«
    Â»Nein.« Ich schüttelte den Kopf und sah ihn herausfordernd an. »Wenn sich in der Geschichte Wahrheit findet, dann will ich sie hören. Von dir. Lies sie mir vor.«
    Wie

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