Himmelsfern
seine Lider waren entspannt. Nur seine Hand, die mit der Handfläche nach oben auf dem Laken lag, zuckte ein wenig. Haarsträhnen hingen ihm ins Gesicht, klebten an seinen Wangen. Ich musste lächeln. Und mich dann sehr beherrschen, um sie ihm nicht zurückzustreichen. Nebenan hörte ich meinen Vater, der Blick auf den Wecker â grausame sieben Uhr am Morgen â war eigentlich unnötig.
Ich krabbelte aus dem Bett, schloss meine Zimmertür so leise auf wie möglich und ging in die Küche, wo mein Vater gerade Wasser aufsetzte. Ohne seinen Melissentee mit Honig konnte er nach einer Nachtschicht nicht einschlafen.
»Morgen, Noa.« Er gähnte herzhaft. »Habe ich dich geweckt?«
»Ja, du warst schrecklich laut. Ich bin aus dem Bett gefallen. Nee, Quatsch, mach dir keine Gedanken. Guten Morgen.« Ich küsste ihn auf die Wange.
Ich musste mich nur vergewissern, dass er keinen Verdacht schöpfte oder nachher noch in mein Zimmer kam, um nach mir zu sehen. Streng genommen verteidigte ich gerade die Tür, hinter der Marlon schlief. Wenn das angesichts der Uhrzeit keine Heldentat war, dann wusste ich es auch nicht. Um meine Absichten zu verschleiern, füllte ich ein Glas mit Leitungswasser und trank einen Schluck. Der Gedanke an Frühstück hatte etwas Verlockendes, gleichzeitig erschrak ich dabei. Verdammt! Ich hatte Marlon problemlos über Nacht in meinem Zimmer verstecken können, aber beim Frühstück würde er auffallen, wenn ich ihn nicht vorher rauskomplimentierte â was ich nicht vorhatte. Besser also, mein Vater gewöhnte sich an Marlons Anwesenheit.
»Nimmâs mir nicht übel, Noa, aber ich bin vollkommen platt. Ich werde direkt ins Bett gehen.«
»Du, Papa?« Ich druckste herum. »Ich habe ein Geständnis und eine Bitte. Das Geständnis ist, dass ich jemanden zum Frühstück eingeladen habe. Du weiÃt schon, das berühmte Rührsei à la Noa. Mir war völlig entgangen, dass du Nachtschicht hast.«
Er brummte. »So viel zu: Mein Haus ist meine Burg. Seid wenigstens leise, ja?«
»Kein Alkohol und keine Drogen vor dem Mittag«, versprach ich.
»Na, dann ist ja gut.«
Ich küsste ihn auf die andere Wange. »Das wäre meine Bitte gewesen.«
Ich musste dringend zur Toilette und der Geschmack von Schlaf im Mund drängte mich zum Zähneputzen. Aber ich wartete, bis Papa in seinem Schlafzimmer verschwunden war, ehe ich meine Zimmertür aus den Augen lieÃ, um ins Bad zu gehen.
Als ich zurückkam, schlief Marlon noch immer. Behutsam lieà ich mich wieder auf mein Bett gleiten, aber an Schlaf war nicht mehr zu denken. Denken war überhaupt recht kompliziert. Stattdessen starrte ich die Decke an, die Vorhänge und das dahinter heller werdende Licht, dann die Innenseite meiner Augenlider. Hin und wieder warf ich einen Blick zur Seite, wo Marlon so bewegungslos schlief, als hätte ihm jemand eine Vollnarkose verpasst, aber ich schaute immer schnell wieder weg. Wenn ich ihn ansah, flatterten meine Nerven so sehr, dass ich befürchtete, sie könnten ihn aufwecken. Irgendwann musste ich dann doch eingenickt sein, denn ich erwachte, weil ein Finger meinen Nasenrücken entlangstrich, und ich hätte mich zu Tode erschreckt, wenn es nicht Marlons Finger gewesen wäre.
»Entschuldigung«, sagte er, ein Grinsen spielte in seinen Mundwinkeln. »Ich wollte dich nicht wecken, aber ich konnte nicht widerstehen.« Er sah vollkommen verschlafen aus und ich freute mich ein bisschen, dass ich ihm diesmal mit der Morgenwäsche voraus war und mein Anblick damit zumindest keine Katastrophe.
»Gut geschlafen?« Meine Frage war überflüssig, ich wusste, dass er gut geschlafen hatte. Seine Antwort schmeichelte mir trotzdem.
»So gut wie lange nicht mehr«, erwiderte er, und dann verursachte er beinahe einen Herzinfarkt bei mir, denn er rollte sich mit einer flieÃenden Bewegung einfach auf mich drauf, sodass mein Gesicht an seine Schulter gepresst war. Ich roch diesen überwältigenden Hauch von Zimt, als ich erschrocken die Luft einzog, doch ehe ich darüber nachdenken konnte, was er vorhatte, war Marlon schon über mich hinweggerollt, stand mitten im Raum, streckte sich demonstrativ und lieà die Gelenke knacken.
»Ich vermute, dein Vater ist inzwischen wieder zu Hause«, murmelte er und angelte sich seine Jeans von der Stuhllehne. »Ich sollte
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