Himmelskrieg: Roman (German Edition)
den Gefangenen war dieses Leben ein Mythos, angefüllt mit unglaubhaften Bildern und lächerlichen Aktivitäten. Unvorstellbar, dass man imstande sein konnte, länger als den siebenten Teil eines Zyklus in einer geraden Linie zu schwimmen! Oder tiefer tauchen zu können, als sieben übereinander gestellte Mitglieder des Volkes hoch waren!
Doch trotz seiner Skepsis beherrschte der Gefangene die Sprache seiner Vorfahren und benutzte deren Begriffe. Es war verwirrend, mit Situationen konfrontiert zu werden, für die er keine Worte fand.
Wie in diesem Fall: Auf der Heimatwelt gab es außer dem Volk keine weiteren intelligenten Spezies. Andere gehfähige Wesen teilte man ein in Meereslebewesen, die man essen konnte, und in Feinde, die auf dem trockenen Land lebten.
In welche Kategorie gehörten die neuen Gefährten des Gefangenen? Sie waren Landlebewesen, und auf dem trockenen Land hausten traditionsgemäß die Feinde des Volkes. Doch das Habitat war nicht die traditionelle Umgebung.
Waren die Landlebewesen Nahrung? Ihr Geruch war neutral, ihre Größe akzeptabel (der Gefangene hätte problemlos eine dieser Kreaturen überwältigen und in Stücke reißen können). Aber sie hatten ihm medizinische Hilfe geleistet und, was noch viel wichtiger war, seiner Gefangenschaft ein Ende gemacht. Die sozialen Normen verlangten von dem Gefangenen, dass er sich entsprechend revanchierte, ihnen zum Beispiel half, mit ihm zu kommunizieren.
Sie anzugreifen und zu fressen wäre schlichtweg falsch, vor allen Dingen, da der Gefangene immer noch über eine Nahrungsquelle verfügte.
Das Problem blieb jedoch bestehen. Der Gefangene sah sich gezwungen, einen ungenutzten Teil seines Vokabulars zu aktivieren, um die Gefährten zu klassifizieren. Er verglich sie mit kleineren, schlankeren Kreaturen von der Heimatwelt, die häufig einzelne Mitglieder des Volks auf Schwimmausflügen begleiteten, die dem Einsammeln von Nahrung dienten. Diese Kreaturen fraßen dann die Beute, die das Volk verschmähte.
Aus der Ferne betrachtet hätte man die Kreaturen für kleinere Mitglieder des Volkes halten können, nur dass sie lediglich zwei Arme besaßen.
Das war es: Zweiarmige.
Die Begegnung mit diesen Zweiarmigen war auch noch aus anderen Gründen problematisch gewesen. Erstens bewegten sie sich viel zu schnell. Zweitens waren sie Anomalien. Der Gefangene glaubte, er würde sämtliche Spezies kennen, die außerhalb seines eigenen Habitats auf dieser Welt lebten. Dem Gefangenen und seinem Cognatus hatte man Bilder von ungefähr sieben unterschiedlichen Arten gezeigt und ihnen Geschichten über diese Typen von Lebewesen erzählt, angefangen von den Luftwesen bis hin zu den Schlammkriechern.
In welcher Beziehung standen die Zweiarmigen zu dem Volk? Offensichtlich wussten sie über seine Existenz Bescheid – aber sie zeigten weder offene Feindschaft noch Furcht.
Doch in Anbetracht der Tatsache, dass der Gefangene mit seinem eigenen Volk in Feindschaft lebte, sprach dies nicht unbedingt für die Zweiarmigen. Der Gefangene war indessen bereit zu glauben, dass die Zweiarmigen nichts Genaues über die Aktivitäten oder Konflikte des Volkes wussten. Wahrscheinlich hatten sie auch keine Ahnung von der Existenz des Gefangenen gehabt, bevor sie ihm begegnet waren.
Nun, jetzt kannten sie ihn. Und der Gefangene war an sie gebunden.
Art und Dauer dieser Beziehung hing allerdings nicht nur von der gebotenen Höflichkeit ab, sondern von einem anderen, extrem wichtigen Faktor.
Wussten die Zweiarmigen von der Existenz der Ravagers, der Zerstörer? Wenn nicht, so würden sie bald Aufklärung erfahren. Am besten, er verhielt sich so, als ob sie im Bilde wären. Er sollte einfach davon ausgehen, dass sie informiert waren.
Die Frage war nur, auf welche Seite sich die Zweiarmigen schlagen würden. Wenn sie bereit waren, sich mit ihm zu verbünden, war alles in Ordnung.
Sollten sie jedoch mit dem Feind paktieren, nun ja, dann würde er die Zweiarmigen töten und sogar auffressen müssen, obwohl es bedauerlich und ungehobelt wäre, ihre Freundlichkeit mit Gewalt zu vergelten.
Es war keine Option, die zu ergreifen dem Gefangenen leicht fallen würde, aber die Aktionen seitens seines Cognatus und des Volks würden ihm gar keine andere Wahl lassen, als zum Mittel der Gewalt zu greifen.
Zu den Ravagers hatte der Gefangene ein angespanntes Verhältnis. Zweimal hatte es sich geändert, und wegen seiner Isolation und des Mangels an Kontakt war vielleicht gar keine Beziehung
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